Per Bahn in die Flitterwochen

Mitmachen in einer Inszenierung, die schöner ist als jede Karnevals-Verkleidung: Mit Peter Maxwell Davies‘ Kinderoper „Cinderella“ setzen Kampnagel und Staatsoper ihre Kooperation fort

von CHRISTIAN T. SCHÖN

Sooooo muss Theater sein! Einmal in das quietschgelbe Dress des Prinzen steigen. Einmal in den grotesk-grünen Drachenfüßen über die knallbunte Spielplatz-Bühne tanzen oder ein Stück von der überdimensionalen Schaumstoffpizza abbeißen, die der Pizzaboy reicht. So muss Oper sein, eine Oper für Kinder allemal.

So ist die Kinderoper Cinderella von Peter Maxwell Davies. Zu verdanken hat sie es Branko Brezovec‘ kunterbunter Inszenierung und den schreiend komischen Kostümen von Andrey Bartenev, die bei jeder Bewegung glänzen und quietschen. Mit Leben gefüllt werden die mannhohen Kautschuk-Figuren von den 24 KindersängerInnen der Gelben Gruppe, die jetzt die Premiere auf Kampnagel bestritt.

Cinderella (Sara Maria Saalmann), ein armes Au-Pair-Girl mit blauer Pippi-Langstrumpf-Turmfrisur, muss im Haushalt der klobürstigen Witwe Knurrig (Juliane Renz) deren selbstgefällige Gören versorgen. Ihre einzigen Freundinnen sind eine schwarze Latex-Katze (Yixuan Fu) und neun silberne, windkanalschnittige Astro-Cats mit pinken Schleifen um die Hüfte.

Die Geschichte kennt jedes Kind: Die drei schrecklichen Schwestern dürfen zum Ball des Prinzen, Cinderella nicht. Die dicke Hekate (Jan Moritz Walter) mit der Stinktierfrisur trägt einen Sport-BH mit Boris-Becker-Emblem zum Ball. Die unter ihrer Perücke kahle Medusa (Marc Kähm) ist von sich selbst überzeugt: „Ich bin die schärfste Puppe, in unsrer Mädchengruppe.“ Und die kleine Dragonia (Frederic Urbanek) trägt schwer an sich selbst.

Davies‘ Musik bleibt beim Jung-Dirigenten Cornelius Meister (Jahrgang 1980) meist angenehm im Hintergrund. Zu Tänzen und Chören darf sie etwas mehr aufdrehen. Alles locker choreographiert, ohne dass die Mimen sich verkrampfen oder steif wirken. Gerade die vollen Bühnenszenen geraten so zu Höhepunkten. Indisches Katzen-Miau und chromatische Blockflöten-Jodler werden von den 35 OrchestermusikerInnen zwischen acht und 16 Jahren lebendig in das Stück getragen.

Mit Cinderella setzen Kampnagel und Hamburger Staatsoper ihre Kooperationsreihe „Opera piccola“ fort, die letztes Jahr mit Hans Werner Henzes Pollicino erfolgreich Kinder für zeitgenössische (Kinder-) Oper interessierte. Im Zusammenspiel von Regie und Bühne (Tihomir Milovac) mit den Ganzkörper-Verkleidungen verlieren die Opern-Kids die Scheu vor dem Publikum. 100 Punkte für Hippness, Verspieltheit und Ausdrucksfreude!

Mit Cinderella zeigt das für die Inszenierung verantwortliche Kampnagel-Team, dass Oper für Kinder trotz quirliger Pop-Welt nicht Plattitude heißen muss. Natürlich stehen Spiel- und Schaulust im Vordergrund. Zusätzlich machen Brezovec, Milovac, Bartenev einige Theater-Tricks sichtbar: Ein Feuerwerk als Videoprojektion. Und Bühnentechniker, die immer wieder – scheinbar grundlos – aus den Kulissen auftauchen. Peter Maxwell Davies‘ Libretto läßt außerdem ausdrücklich Gegenwarts- und Lebensweltbezüge zu. So schwärmt das Schwestern-Trio für MTV und Olli Kahn (“macht mich an“) und verabscheut Boris Becker (“finde ich nicht lecker“).

Auch für Erwachsene gibt es etwas zum Schmunzeln: Statt mit der Kutsche oder in einer Nobelkarosse des Hauptsponsors fährt das glückliche Paar am Ende mit der Deutschen Bahn in die Flitterwochen. In den Waggons sitzen PacMan-Schablonen und essen Pizza. So muss Oper sein. Aus einem Guss. Und nicht nur für Kinderaugen.

6., 11., 13. + 20.2., 18 Uhr. 8., 9., 22. + 23.2., 17 Uhr. 15.2., 15 + 19 Uhr. Kampnagel, Jarrestr. 20