Kollateralschaden vor Gericht

Im Motassadeq-Prozess beginnen heute die Plädoyers. Gericht hat erstmals angedeutet, dass eine abgemilderte Verurteilung für den Angeklagten in Frage kommt

Der Hamburger Prozess um die Terroranschläge vom 11. September 2001 steht vor seinem Abschluss. Schon in der kommenden Woche könnte das Urteil gegen Mounir El Motassadeq gesprochen werden – womöglich eine Verurteilung in abgeschwächter Form. Der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichtes (OLG) hat Motassadeq gestern darauf hingewiesen, dass außer dem in der Anklage erhobenen Vorwurf der Mitgliedschaft in der „terroristischen Vereinigung“ um Mohammed Atta auch eine Verurteilung wegen bloßer Unterstützung der Terrorgruppe möglich sei. Darauf steht maximal fünf Jahre Haft – wenn das Gericht Motassadeq nicht zusätzlich die angeklagte Mordbeihilfe in 3045 Fällen unterstellt.

Auch Motassadeq selber hat sich gestern noch einmal zu Wort gemeldet. Er bezeichnete es als „unfair“, dass dem Gericht wichtige Zeugen vorenthalten worden sind. Der in den USA inhaftierte Ramzi Binalshibh gilt als unerreichbar, weil die USA seine Vernehmung abgelehnt haben und auch die Herausgabe von Aussageprotokollen an das Gericht verweigern. Und das Bundeskanzleramt hat es abgelehnt, dem Gericht Material über den in Syrien inhaftierten Al Qaida-Anwerber Mohammed Haidar Zammer zur Verfügung zu stellen. Dagegen hatte das OLG am vorigen Freitag protestiert – und gestern eine zweite Absage kassiert. Durch die Herausgabe der Informationen, so die Begründung, seien die Beziehungen der deutschen Behörden zu ausländischen „Partnerdiensten“ in Gefahr.

Dadurch aber, platzte Motassadeq gestern heraus, „sperrt man die Wahrheit. Ich verstehe das nicht. Wir alle wollen doch die Wahrheit wissen.“ Er wiederholte, mit den Terroranschlägen nichts zu tun gehabt zu haben. „Mag sein, dass die Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern wichtiger ist als ein Mensch“, sagte Motassadeq. Und fügte hinzu: „Ich will aber kein Kollateralschaden werden.“

Das Gericht zeigte Verständnis für die Bitterkeit Motassadeqs. „Ich kann Ihre Empörung durchaus verstehen“, sagte der Vorsitzende Albrecht Mentz, der jedoch „nicht davon ausgeht, dass Ihnen etwas vorenthalten wird, was Sie entlasten würde“. Auch Bundesanwalt Walter Hemberger versuchte den Angeklagten zu beschwichtigen: „Wenn wir Erkenntnisse hätten, die zu einem Freispruch führen müssten, würden wir den auch fordern“, so der Ankläger. Ob die BAW derartige Erkenntnisse hat oder vielmehr davon ausgeht, dass Motassadeq einer der Helfershelfer des 11. September war, wird sich heute herausstellen. Heute hält die BAW ihr Plädoyer.ELKE SPANNER