berlin buch boom
: Geschichten, die man Leben nennt: „Homme Bizarre“ von Gabriele Bärtels versammelt Alltagsreportagen ohne Kitsch

Von Strichern und Gerichtsvollziehern

Die Geschichten und Reportagen, die Gabriele Bärtels in ihrem Buch „Homme Bizarre“ versammelt hat, nennt sie schlicht und einfach „Lebensgeschichten“. Der Verlag dagegen schreibt, dass der Titel für das „Wundern und das Staunen über den Menschen“ stehe. Zudem heißt es: „Nichts ist zu leicht oder zu schwer, zu banal oder zu wichtig, um nicht erzählt zu werden.“

So weit, so gut. Wo sich aber über „den Menschen“ gewundert wird, „der Mensch“ bizarr ist und „das Leben“ erzählt werden muss, da ist Vorsicht geboten. Und dann könnte auch dieses Inhaltsverzeichnis noch von der Lektüre abschrecken: Bärtels beschreibt Todesfälle in der U-Bahn, folgt einem Gerichtsvollzieher, redet von einer Frau, die ihren Mann per Heiratsannonce gefunden hat, von einem Familienvater, der sich gern als Frau verkleidet, und von einem professionellen Dealer, der geradezu wie ein Spießer arbeitet. Selbstredend fehlt auch der Transsexuelle nicht, der auf den Strich geht, um sich die teure Geschlechtsumwandlung leisten zu können.

Dennoch ist dieses Buch zu empfehlen. Denn Bärtels verweigert sich in ihren Geschichten zumeist dem, was die Auswahl der Themen und der Klappentext androhen: Sie will keine Geschichte von möglichst obskuren Gestalten erzählen, vom Grauen in der Nachbarschaft und von den Abgründen der Gesellschaft. Statt eine geilende Obskurantensehnsucht zu bedienen, beschreibt sie diese Leute ohne Voyeurismus. Sie begleitet den Gerichtsvollzieher höflich und fragt ihn nicht nach seinem „spannendsten“ Fall, sie interviewt den Stricher, fragt aber eher nach seiner Alltagsgestaltung als nach besonders akrobatischen Stellungen oder nach seinem Ekel, sie beschreibt Leute, die Künstler sein wollen, jedoch keine Kunst beherrschen, und macht sich dabei über die Subjekte ihrer Geschichten nicht her.

Dass sie in diesen Texten, die durch die Einordnung in die Gattung der Feuilletons nicht abgewertet werden, nicht selten am Kitsch vorbeischrammt, ist unvermeidlich. Das Sein unter gesellschaftlichen Bedingungen und Zwängen (das viele so unbedingt „das Leben“ nennen wollen) ist ohne Klischees nicht zu beschreiben: Männer, die heimlich Frauenkleider tragen, haben immer einen Touch von „Charlys Tante“; Männer, die über Sex reden, erinnern immer an Woody-Allen-Filme, Geschichten von unsteten Wanderern assoziiert man immer mit Lumpazivagabunden und Eichendorff.

Dass die Geschichten, die Bärtels erzählt, dennoch keine kitschigen sind, liegt daran, dass die Autorin, die als Übersetzerin von hartgesottenen Krimis arbeitet, eine trockene, klare Sprache benutzt, die zwar Anteil nimmt, die jedoch nicht versucht, Gefühle in irgendeiner Weise authentisch zu vermitteln.

Bärtels, die als Autorin mit diesem Band debütiert, hat sich Zeit gelassen für ihre Texte, und sie hat versucht, genau zu sein. Das ist ihr nicht bei allen Texten gelungen, doch ein Großteil der kurzen Geschichten erfüllt alle Ansprüche, die man an Feuilletons haben kann. Und der letzte Text, der das Sterben einer Mutter aus der Sicht ihrer Tochter beschreibt, ist wirklich anrührend.

Man freut sich darüber, dass es auch nach dem Tod des guten Verlegers Erich Maas in der Hauptreihe des Maas Verlages würdig weitergeht, und freut sich ebenso auf weitere Bücher von Gabriele Bärtels.

JÖRG SUNDERMEIER

Gabriele Bärtels: „Homme Bizarre“. Maas Verlag, Berlin 2002, 170 S., 15 €