Ein sokratischer Stadtindianer

Paketaufkleber, Globen und Fotoposter – Hauswände sind die Ausstellungsräume urbaner Künstler. Einer davon ist Akay, ein Schwede, dessen Plakatserien schon in Tokio, Paris und New York hingen. Momentan tapeziert er wieder Berlin und dokumentiert seine Arbeiten in einer Ausstellung

von ANNE HAEMING

Er bleibt mitten in der Pfütze stehen, schiebt sich die Mütze aus dem Gesicht und taxiert die ramponiert-beschmierte Häuserwand. Akay schwingt sich über den Zaun, die Packpapiertüte und den roten Putzeimer voller Leim im Anschlag. Schnell aufs Metallgitter geklettert, mit der Malerrolle die Mauer eingeleimt, einhändig mit dem roten Faltpapier kämpfen, fertig. Die Welt hängt flach an der Wand. Um den Bauch eine Banderole, sie sagt: akayism.

Akay ist Künstler, seine Galerie ist die Stadt. Jede Stadt. Die farbigen Globen klebten schon in Tokio, New York, in Mexiko-Stadt und in seiner Heimat Stockholm. Und kleben teilweise noch. In Berlin hängen die Weltkugeln made in Sweden schon seit andertalb Jahren. Ein imaginäres Netzwerk, das permanent in Auflösung begriffen ist.

„Andere fahren wegen des Eiffelturms nach Paris“, meint Akay trocken. „Ich verreise, weil ich mir die Wände anschauen will, die Stadtlandschaften, die Industriegebiete. Meine Arbeiten sollen mit Postern und Graffiti der anderen in Beziehung treten.“ Mit Graffiti hat er selbst angefangen, Mitte der Achtziger war das. Dann entstand sein Globe-Logo und die ersten Posterserien, grafisch aufwändige Siebdrucke.

„Meine Arbeiten verändern sich nicht, es ist die Umgebung, die den Wandel bewirkt. In jeder Stadt sehen meine Motive anders aus“, meint Akay. Vor allem in Tokio sei ihm das klar geworden: eine Kulisse aus aseptischen Hightechfassaden vorne, dahinter verrumpelte Rostbuden, mittendrin seine Plakate. Japanische Schriftzeichen neben lateinischen Buchstaben, ein unverständliches Muster. Die unterschiedlichen Rezeptionen können sogar zur Festnahme führen: Die Tokioter Polizei hielt Akays Erdkugel für ein Sektensymbol.

Genau das steht auf Akays Wunschliste: Irritationen, verstört-überraschte Blicke, enttäuschte Erwartungen. Und Poster sind dafür ideal, findet er. „Leute erwarten Werbung, wenn ihr Blick auf die Plakate fällt. Und plötzlich entdecken sie, dass es etwas ganz anderes ist.“ Seine Arbeiten sind wie latente Fallen, die in der Stadt auf diese Momente lauern. Er hat schon Anzeigenposter aus Leuchtkästen befreit, sie mit Globus und „Akayism – your Remedy“ überklebt und wieder zurückgehängt. So funktionieren auch seine Fotoposter obdachloser Menschen, auf Gesichtshöhe an Häuserwände tapeziert. Ein kurzer Blick und unbewusstes Flanieren kippt um in bewusstes Reflektieren.

Der öffentliche Raum ist geradezu prädestiniert für Kunstaktionen, die Passanten unverhofft überfallen wollen. So genannte „urban art“ erreicht nicht nur Interessierte, die gezielt in Museen gehen. Sie erobert sich eine Sphäre, in der jeder Fussgänger zum zufälligen Rezipienten werden kann. „Public space“, wie Akay sagen würde, ist ein Ort mit abstraktem Charakter.

Die Urform war die griechische Agora, ideeller Mittelpunkt der kommunalen Gemeinschaft. Der Ort der Diskussionen, der Meinungsbildung, schlicht: der Kommunikation. Mittendrin sollte man sich am besten Sokrates vorstellen, von oben ein Punkt, der von Grüppchen zu Grüppchen tingelt, ein virtuelles Netzwerk aufs Marktpflaster malend. Dem internationalen Maschenwerk urbaner Kunst nicht unähnlich. Die Dialoge zwischen Philosoph und Gesprächspartnern sowie zwischen Open-Air-Kunst und Passanten folgen dem gleichen Schema: Sie wollen klarmachen, dass es eine absolute Wahrheit nicht gibt. Nur das Wissen, nichts zu wissen, nur die Erkenntnis, Wahrnehmungen neu überdenken zu müssen.

Zwei Tage vor der nächtlichen Tapeziertour durch Prenzlauer Berg plakatiert Akay in den Räumen von Urban Art, einer ungeheizten Galerie. Der Putz bröckelt, die Kabel liegen frei, über allem der Charme von Auflösung. Er klebt Foto/Text-Paare: Schwarz-Weiß-Poster von Menschen, die er in New York fotografiert hat, einen Monat vor dem 11. September 2001; und daneben deren innere Monologe, getextet von Kid Pele, einer schwedischen Künstlerin. Zusammen mit zwei weiteren „urban artists“ bereiten sie eine Ausstellung vor. Deren Titel hängt in städtischen Fundsachen an der Wand, eine Radgabel als C, ein Topf wurde zum O, eine Sprungfeder das M: „Concrete and Imagination“. Ob „concrete“ den Zement der Hauswände meint oder doch nur konkret, bleibt offen.

Fest steht aber, dass die geschlossenen Räume die Stadtkunst konterkarieren. Schließlich wollen die Open-Air-Künstler den elitären Behausungen der „echten“ Kunst entkommen. Überhaupt: Wenn Akay könnte, würde er für seine Werke einen neuen Überbegriff erfinden, Akayism ist schon ganz gut. Er kann das Wort Kunst nicht leiden. Schließlich ist es der Stempel, den Produkte aufgedrückt bekommen, sobald sie die Schwelle der weißwandigen Ausstellungsräume überschreiten. „Im Gegensatz zur ‚echten‘ Kunst steht bei uns das Werk im Mittelpunkt“, es klingt wie ein Glaubensbekenntnis. „Den Hype um Personen machen wir Stadtkünstler nicht mit.“ Daher auch sein Name, Akay, er will anonym bleiben, versteckt sich hinter seinem Tag, einer Rolle. Dennoch macht er mit bei „Concrete and Imagination“. Zum einen, um seine Arbeit draußen zu dokumentieren, dem Vergänglichen etwas Permanentes gegenüberzustellen. Zum anderen, weil er zusätzlich die Stadtwände plakatiert. „Nur die Ausstellung? Das wäre Zeitverschwendung.“

Bei der Tapeziertour gesellen sich seine Plakate zu den Arbeiten von Kollegen. Zu den inflationär auftauchenden Paketaufklebern mit Logo genauso wie zu Überbleibseln vergangener Ausstellungen bei „Urban Art“. Und auch mit den Loesje-Plakaten beginnen sie eine visuelle Kommunikation. „Alles, was man für den Irakkrieg braucht, ist da. Bis auf einen Grund“, ist darauf etwa zu lesen. Loesje kommt aus Holland und funktioniert wie Akayism international. Der Unterschied: Das Konzept hängt nicht an einer Person, sondern geht von einer unbezifferbaren Masse von Akteuren aus. Jeder, der will, kann sich bei www.loesje.org die Motive runterladen, ausdrucken und kleben. Die Texte entstehen bei Workshops, die jeder Interessierte besuchen kann. Urbane Augenfänger zum Selbermachen, ganz basisdemokratisch.

Akay leimt eine Wand zwischen zwei Rollläden ein. Er klebt einen Obdachlosen zwischen die Leuchtschriften „World of Erotic“ und „Welt der Erotik“. Beate Uhse wird sich freuen.

„Concrete and Imagination“, bis 23.2., Urban Art, Brunnenstraße 171, Mitte. Do-Fr 17-21 Uhr, Sa-So 15-20 Uhr. Weitere Infos: www.urban-art.info