Stress für den Oberbuchhalter

Bei Andreas Kriegenburg am Thalia Theater in Hamburg ist Shakespeares „Macbeth“ ein blutarmer Schreibtischtäter

Wenn das die Arbeitsmoral in Duncans Königreich sein soll, dann kann man ihm nur eins wünschen: endlich neue Kündigungsschutzgesetze. Das Schottenfürstentum ist ein riesiges Großraumbüro. In jeder Glasbox steht ein Schreibtisch, an dem die Büroangestellten Zeit totschlagen. Man starrt phlegmatisch auf die Bildschirme, greift beim Klingeln schlecht gelaunt zum Hörer. Wenn es etwas zu feiern gibt, zwängen sich alle in das Büro des Oberbuchhalters Macbeth, ganz vorne in der Glasbox: Büroparty, Raucherparty, Sekt trinken und der Sekretärin ins Dekolleté schielen.

Es ist noch nicht lange her, da hat Calixto Bieito seinen „Macbeth“ mit Sex, Drogen, Gewalt in eine Mordparty geführt, die im Sommer 2001 in Salzburg für Diskussionsstoff sorgte. Im Thalia Theater Hamburg sind einige Zuschauer aus anderen Gründen in der Pause gegangen: Die böseste der bösen Bühnenfiguren Shakespeares schlittert hier aus scheinbarer Gutmütigkeit in ein so burleskes wie blutarmes Morden, das sie nicht aufzuhalten weiß. Wie auch: Zum Held erkoren ist ein unscheinbarer Leptosomer im schlecht sitzenden Anzug und mit dicker Kassenbrille, der mittags die Stullendose auspackt und Banquo die Pausenbanane zuwirft. Den eigenen Aufstieg hat er bestimmt nicht vor den kurzsichtigen Augen, eher denken daran die drei Sekretärinnen-Hexen in den pastellfarbenen Kostümen oder seine werktätige Frau, Lady Macbeth, eine graue Maus bei Duncan Corporation, die die Ablösung des Chefs wittert.

Auch bei Andreas Kriegenburg muss Macbeth einen von Leichen gesäumten Weg antreten: raus aus der Abteilung, hoch in die Vorstandsetage. Inszeniert wird ausdrücklich „nach William Shakespeare“. Doch statt die Handlung zu zerlegen, puzzelt der Regisseur nur neue Bilder und Texte dazu und holt das Stück in die Theatergegenwart: Der moderne Angestellte ist ja seit einer Saison eine Lieblingsbühnenfigur.

Viel Slapstick auf der Bühne, das kündigen die Kostüme von Johanna Pfau schon an: dicke Hornbrillen, gestreifte Anzüge zu gepunkteten Krawatten. Schön choreografiert verrenken sich die Körper auf der Bühne, dann fallen die Schauspieler mit den Distanzierungstechniken, die auch Angestellten zur Verfügung stehen, aus ihren Rollen: müdes Abwinken, ironisches Schulterzucken, aufgeklärtes Drüberstehen, vor allem Jörg Pose als Macbeth beherrscht das meisterhaft. Die Verwandlung zum Ungeheuer, die textgetreu durchgespielt wird, ist am ehesten Woody Allen geschuldet. Ein im Grunde Treuherziger, der nicht kapiert, was um ihn herum passiert.

Wenn er sich mit dem Messer in der zitternden Hand zum Mord an Duncan entschließt, wirft ein Scheinwerfer seinen riesigen Schatten an die Wand. Tatsächlich wird mit der Machtergreifung alles zu groß für ihn: In dem Bühnenraum sind die Glasbüros jetzt durch das gediegene Mobiliar eines Chefbüros ersetzt, in dem Macbeth noch blasser wirkt. Banquo schnüffelt an den Kissen der Ledersessel, doch der Duft der Macht ist ihm nicht lange gegönnt. Zwei Killer zerlegen ihn im Hintergrund, während davor Urlaubsdias der Macbeth-Familie laufen. Danach geht das Morden in filmreifen Screwballszenen weiter. Ganz nebenbei erwischt es beim Teetrinken auch Lady Macduff.

Ist der erste Teil dicht und konsequent in Bilder umgesetzt, kippt das Oberflächenspiel später in die reine Pflicht, die Plots über die Bühne zu bringen. Natali Seelig muss in der Badewanne sterben, und man kann gar nicht mehr begreifen, warum. Der Wahnsinn, die Abgründe, die innere Zerrissenheit Macbeths rücken umso ferner, je dichter Kriegenburg im zweiten Teil an den Stoff ranwill. Erlösung, als Macbeth endlich tot am Boden liegt. Die Überlebenden zünden sich die Zigaretten an. Flurfunk in der Raucherecke: „Wir müssen jetzt mal intern reden“, sagt Macduff. Der moderne Angestellte taugt einfach nicht zum Tyrannen, auch wenn er hier das Gegenteil zu beweisen versucht.

SIMONE KAEMPF