Das Unvereinbare verbinden

Frühe Noten sollen Schülern zeigen, was sie können, wo sie stehen – und zu einem individuellen Förderplan führen. Pädagogen, Bildungsexperten und Erfahrungen anderer Länder lehren: Das geht zwar – aber nicht mit Zensuren

BERLIN taz ■ Mit Noten für Grundschüler ab der zweiten Klasse setzt sich Bayern publikumswirksam an die Spitze eines Trends in den Bundesländern. Im Westen der Republik waren Ziffernnoten in den Grundschulklassen die Ausnahme. Dann kamen schulkonservative Länder wie Sachsen und führten Noten in Deutsch und Mathe für Siebenjährige ein. Mit dem deutschen Pisa-Sieger Bayern werden nun in der Klasse 2 neue Maßstäbe gesetzt – „die schrittweise Einführung von Noten“, wie es in Thüringen heißt, steht bevor.

Die Szene von Pädagogen und Bildungsforschern ist wie so oft bemüht, ihre komplexen Modelle gegen eine simple Noten- und-Leistungslogik durchzusetzen. „Es ist ein vermeintliches Allgemeinwissen“, sagte etwa Margarete Imhof von der Universität Frankfurt, „dass wir alle Noten als ideales Vergleichskriterium akzeptieren.“ Die Wahrheit sei eine andere: Individuelle Einschätzungen des Schülers seien durch Noten kaum zu schaffen.

Edmund Stoiber sagte in seiner Regierungserklärung, Kinder sehnten sich nach Noten: „Sie wollen erfahren, wie gut sie waren und ob sie sich verbessern können und müssen.“ Genau das gehe aber durch Noten gerade nicht, meint Imhof, die „Schulleistungsdiagnostik“ betreibt.

Eine Note sagt an sich gar nichts, meint Imhof, sie gaukelt ein Bewusstsein über den Leistungsstand nur vor. Im Bezug auf das Fach habe eine Note wenig Aussagekraft, „weil niemand weiß, was genau gelernt und abgefragt worden ist“. Für die Pädagogin ist daher eine Note ohne ihren Bezugsrahmen unsinnig. Wichtig für den Schüler und seinen individuellen Lernstand seien drei Perspektiven: Wie habe ich mich weiterentwickelt? Wo stehe ich im Fach? Wo befinde ich mich in der Klasse? „Eine Note kann aber diese drei Dimensionen nicht erfassen.“

Für Schüler seien weder Noten noch die so genannten Lernentwicklungsberichte ideal, um den eigenen Standort zu klären. Viel besser wäre es, Arbeitsproben zu sammeln. An einer Reihe von Diktaten eines Schülers etwa lasse sich präzise ablesen, wo die Stärken liegen – und wie sie sich über die Zeit entwickelt haben. Eine Methode, solche Entwicklungen für Lehrer, Schüler und Eltern transparent zu machen, ist das Log- oder Planungsbuch schwedischer Schulen. Ab der „ersten“ Klasse dokumentiert jedes Kind sein Lernen in einem Büchlein. Zunächst helfen die Lehrer die Übungen einzutragen. Je älter die Schüler werden, umso selbstständiger bestimmen sie, in welcher Zeit und mit welchen Übungen und Paukeinheiten sie die Lernziele erreichen wollen. Daraus resultiert dann ein individueller Förderplan. Noten braucht es dafür keine.

Bayern aber hat bald beides – frühe Zensuren und einen Förderplan, der daraus entstehen soll. „Schauen Sie nach Schweden“, teilt das Kultusministerium Bayerns mit, „die machen das auch.“ CHRISTIAN FÜLLER