Der Midas der Musikindustrie

Schüsse hinter der „Wall Of Sound“: Der legendäre Pop-Produzent Phil Spector unter Mordverdacht festgenommen

Kein anderer Produzent hat die Welt von Pop und Rock so nachhaltig verändert wie Phil Spector. Als seine genuine Erfindung gilt die Technik, mehrere Instrumente so lange übereinander zu legen, bis sich der Klang zu einer unerhörten, fast physisch erlebbaren Welle aufgetürmt hat: der „Wall Of Sound“.

Spector selbst nannte diese Methode „einen wagnerianischen Zugang zu Rock ’n’ Roll“, die von ihm produzierten Popsongs „kleine Sinfonien für die Kids“. Ben E. Kings Hit „Spanish Harlem“ war eine solche Sinfonie, „Da Doo Ron Ron“ von den Crystals eine andere – Spector überstrahlte den Sound der Sixties, mit 21 Jahren schon war der mittellose Junge aus der Bronx Multimillionär und eine Art Midas der Musikindustrie. Er arbeitete mit Elvis, den Righteous Brothers und den Ronettes zusammen. Was er auch anpackte, es wurde zu Gold. Oder gleich zu Platin. Der Schriftsteller Tom Wolfe bezeichnete ihn 1964 als „the first tycoon of teen“.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Wunderkind mit dem sperrigen Charakter schon mehr Feinde als Freunde gemacht; 1966 zog er sich aus gekränkter Eitelkeit einstweilen komplett aus dem Geschäft zurück – sein von Ike und Tina Turner interpretiertes Meisterwerk „River Deep, Mountain High“ wurde nur ein Hit in England, nicht aber in den USA.

Während Spectors Auszeit machten auch erste Gerüchte über seinen Geisteszustand die Runde: Er soll seine damalige Frau misshandelt und ständig eine Waffe getragen haben. Sein einziger öffentlicher Auftritt in jener Zeit war ein Gastauftritt als Junkie im Film „Easy Rider“.

Erst ein Auftrag aus Großbritannien veranlasste ihn, sich wieder hinter die Regler zu setzen: Ab 1969 remixte er auffällig minimalistisch „Let It Be“ von den Beatles, koproduzierte behutsam John Lennons „Imagine“ und errichtete für George Harrisons „All Things Must Pass“ (1971) wieder seine „Wall Of Sound“.

Zu seinen letzten großen Produktionen zählen die Titelmelodie des ersten „Rocky“-Films, das Album „End Of The Century“ von den Ramones (1980) und „Death of a Ladies’ Man“ von Leonard Cohen (1977). Ansonsten und seitdem scheint Spector vor allem mit langwierigen Prozessen gegen seine Musiker beschäftigt zu sein. Was seinem enormen Gewicht im Musikgeschäft keinen Abbruch tat: 1989 wurde Phil Spector in die „Rock ’n’ Roll Hall Of Fame“ aufgenommen, eine Art Pantheon des Pop.

Im Gespräch mit der taz erinnerte sich unlängst Leonard Cohen an seinen psychopathischen Produzenten: „Phil war zu der Zeit wirklich am Rande des Größenwahns. Er stand ganz offensichtlich neben sich, und überall lagen Waffen und leere Schnapsflaschen rum. Wenn wir zu zweit waren, verlief eigentlich alles relativ glatt. Aber sobald andere Leute ins Studio kamen, fing Phil an, verrückt zu spielen. Wie ich gehört habe, ist er mittlerweile besser drauf – zumindest sagen mir das meine Freunde.“

Am Montag kurz vor Morgengrauen wurde Phil Spector nun in seiner Villa in einem Vorort von Los Angeles festgenommen. Polizeibeamte hatten auf dem Anwesen die Leiche einer 40-jährigen Frau entdeckt und eine Schusswaffe sichergestellt. Am Abend schon kam er gegen eine Kaution in Höhe von einer Million Dollar wieder frei. Sein Anwalt ist Robert Shapiro – der Mann, der auch schon O. J. Simpson vertreten hat. ARNO FRANK