AUCH FRANKREICH KANN EINEN IRAKKRIEG NICHT MEHR VERHINDERN
: Entmachteter Sicherheitsrat

Ich respektiere deine Meinung – vorausgesetzt, sie entspricht meiner eigenen. Genau dieser Logik bedient sich die Bush-Regierung gegenüber dem Sicherheitsrat: Stimmen die anderen Nationen einem Krieg gegen den Irak zu, wäre es den USA sehr angenehm, tun sie es nicht, dann interessiert es die Amerikaner eben nicht. „With or without you“ – das ist seit Monaten die Botschaft der US-Regierung, selbst die von Colin Powell, der angeblich eine Lösung mit den Verbündeten anstrebt.

Über die Erpressungsstrategie kann man sich empören, zunächst muss man sie aber als Handlungsgrundlage akzeptieren. Für Präsident Jacques Chirac heißt das: Vertritt Frankreichs Regierung tatsächlich ihr Nein offensiv im Sicherheitsrat, würde sich Paris gleichzeitig einer prestigeträchtigen Position berauben. Denn die USA würden den Sicherheitsrat, und damit vor allem die ständigen Mitglieder, künftig ignorieren. Die Vetomacht Frankreich wäre kaltgestellt, die Aura der Großmacht verblasst.

Stimmte Paris aber zu oder akzeptierte doch noch stillschweigend die abenteuerliche US-Interpretation, wonach bereits ein UN-Mandat für den Krieg besteht, dann müsste sich Chirac öffentlich zwar ein wenig verrenken, aber er dürfte sich weiterhin als Präsident einer einflussreichen Großmacht fühlen. Er könnte sogar argumentieren, so absurd es klingt, durch sein Einknicken einen Alleingang der USA verhindert zu haben.

Das entscheidende Problem ist deshalb nicht, ob eine zweite UN-Resolution zustande kommt oder nicht. Die viel wichtigere Frage ist die, ob eine Entscheidung des Sicherheitsrates irgendeine legitimierende Wirkung haben kann, wenn zuvor allen Beteiligten unmissverständlich klar gemacht wird, dass nur ein Ergebnis akzeptiert wird. Von einer freien Entscheidung der Völkergemeinschaft zu sprechen, ist dabei blanker Hohn. Eine moralische Bindungswirkung kann von diesem Vorgehen nicht ausgehen: Ein Gremium, dem nicht die Macht zugestanden wird, einen Krieg zu verhindern, kann auch nicht die Macht haben, das Mandat für einen Krieg zu erteilen. ERIC CHAUVISTRÉ