„Meine Nachbarn müssen jetzt dafür bezahlen“

Die gelernte Näherin Petra Müller, 41, aus Berlin, jahrelang arbeitslos und umgeschult, will sich in Zukunft mit Schneidern ihren Lebensunterhalt verdienen. Der Antrag auf Bezuschussung ihrer Ich-AG ist in Bearbeitung, die Werbemaschine läuft auf Hochtouren

BERLIN taz ■ „Mach das, du kannst es doch.“ Diesen Satz hat Petra Müller oft gehört. Immer wieder haben sie Verwandte und Bekannte zu motivieren versucht. Schließlich hat sie den entscheidenden Schritt gewagt und den Existenzgründungszuschuss beantragt.

Alles schien hoffnungslos: zwei Jahre Arbeitslosigkeit, zwei weitere in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, danach Weiterbildung als Bürofachkraft. Zurück in ihren ursprünglichen Beruf wollte sie dabei immer: „Nähen ist mein Ding“, sagt Petra Müller. Nach der Oberschule hat sie bei der Magdeburger Oberbekleidung eine Schneiderlehre gemacht und dort als Näherin gearbeitet. „Kindersachen, Uniformen, Brautkleider und Annoraks, wir haben alles genäht“, berichtet sie über ihre acht Jahre Fabrikerfahrung.

Als mit der Wende die Kleiderhochburg schließen musste, zog Petra Müller nach Berlin und wollte da weitermachen, wo sie aufgehört hatte. Aber sie musste feststellen, dass es für eine Näherin, die knapp 30 Jahre alt war, die noch dazu einen Hüftschaden hat und deshalb zu 60 Prozent behindert ist, kaum Verwendung gab.

Heute ist Petra Müller 41, Mutter von drei Kindern, und auf dem Weg in die Selbstständigkeit: „Das Arbeitsamt gibt richtig Geld aus, wenn mich jemand einstellt. Also hab’ ich mir gedacht: Ich stell’ mich selbst ein, damit ich jetzt dieses Geld bekomme“, gibt sie ihre Beweggründe ganz offen preis.

Petra Müller will sich mit einem Änderungsservice auf dem Markt behaupten. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. In ihrem Wohnzimmer. Hosen kürzen, Reißverschlüsse austauschen und Jacken weiten gehören zum üblichen Schneiderinnenrepertoire. „Aber ich bin billiger als die Änderungsschneidereien in meiner Wohnblocksiedlung. Außerdem biete ich noch einen zusätzlichen Service: Ich komme zu den Kunden nach Hause und hole die Kleider ab.“

Ihre Geschäftsidee in ein Unternehmenskonzept umzuwandeln, fiel ihr anfangs nicht leicht. Petra Müller kann sich noch genau an die Unsicherheit auf dem Arbeitsamt erinnern: „Ich war die Erste, die diese Ich-AG gründen wollte. Da wusste keiner genau, wie viel Geld es vom Staat gibt.“ Mittlerweile ist ihr Antrag in Bearbeitung, die Werbemaschine läuft. Hunderte von Werbezetteln mit Preisen und Telefonnummer hat Ehemann Sven Müller in die Briefkästen der Umgebung eingeworfen. Aushänge an den umliegenden Supermärkten machen auf den neuen Dienst aufmerksam. „Es haben sich schon einige Kunden gemeldet. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen nicht mehr so viel wegwerfen und die Sachen lieber reparieren.“

Für Nachbarn und Bekannte habe sie schon immer genäht, so Petra Müller. „Der einzige Unterschied zu früher“, sagt sie, „ist der, dass sie jetzt dafür bezahlen müssen.“ AGNES CIUPERCA