Jeder kann sich selbst vermarkten

Noch nie war es für Arbeitslose so einfach wie seit diesem Januar, sich selbstständig zu machen und dafür vom Arbeitsamt Subventionen zu bekommen

Gründeroffensiven gab es schon in den 90er-Jahren im Osten – die Pleitewellen schwappten hinterher

von BARBARA DRIBBUSCH

Wer sagt denn, dass in Deutschland alles immer so bürokratisch zugeht. Das war mal. Wer sich selbstständig machen wollte und vom Arbeitsamt ein Überbrückungsgeld wünschte, der musste sich früher ausführlich beraten lassen. Von Experten bei der Industrie- und Handelskammer zum Beispiel, von einer Bank oder zumindest von einem Steuerberater. Mit einer Rentabilitätsbescheinigung für die Geschäftsidee ging es dann wieder zum Arbeitsamt, das über die Förderung befand. Seit Januar ist alles einfacher. Das Konzept der „Ich-AG“ macht’s möglich.

Im Antrag auf den Existenzgründungszuschuss ist unter dem Stichwort „Unternehmerrisiko“ nur eine einzige Zeile frei gelassen, um die „Chancen und Risiken“ des geplanten Vorhabens zu Papier zu bringen. „Die Latte für eine Gründung sollte diesmal niedriger hängen“, sagt eine Sachbearbeiterin der Bundesanstalt für Arbeit (BA). Das ist gelungen.

Um die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu senken, hat die rot-grüne Bundesregierung das Konzept der „Ich-AG“ erdacht, nach dem Motto: Wer arbeitslos ist, kann sich immer noch selbstständig machen. Dazu braucht man kein Jobangebot. Wer Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bekommt, der muss nur den Antrag ausfüllen und ein Gewerbe oder eine freiberufliche Tätigkeit anmelden, um von seinem Arbeitsamt großzügige Zuschüsse zu erhalten. Allein 600 Euro monatlich gibt es im ersten Jahr (siehe Kasten „hilfen 3“).

„Da wagen viele den Schritt in die Selbstständigkeit mit Tätigkeiten, die sie vorher nur nebenbei ausübten“, sagt Karin Langenkamp, Gründungsexpertin bei der BA. Sie hat Anfragen von „Imkern, Versicherungsvertretern, Näherinnen“, die sich nach der neuen Förderung erkundigen. Aber auch arbeitslose Bauhandwerker, KellnerInnen, IT-Dozenten und KrankengymnastInnen sprechen bei den Arbeitsämtern vor. Und „viele Niedrigqualifizierte“ seien unter den Anfragern, heißt es in den Berliner Arbeitsämtern. Doch auch geförderte Selbstständige müssen ihr Geld irgendwann mal durch die Kundschaft verdienen und nicht durchs Arbeitsamt. „Eine gewisse Rentabilitätsprüfung kann auch bei der Ich-AG nur von Vorteil sein“, erklärt Frank Wießner, Wissenschaftler am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Frank Wießner hat Gespräche mit Möchtegerngründern hinter sich, die eine Kneipe eröffnen wollten und am Anfang nicht mal eine schlichte Rechnung über den zu erwartenden Bierkonsum aufgemacht hatten. „So manch einer geht mit fliegenden Fahnen in die Selbstständigkeit“, hat auch Heinrich Clemens vom Institut für Mittelstandsforschung (IfM) beobachtet.

Von den 3,3 Millionen Selbstständigen in Deutschland sind etwa 1,2 Millionen Einmann-Unternehmer oder Freiberufler. Rund 780.000 Unternehmen in Deutschland haben nur einen jährlichen Umsatz zwischen 17.000 und 50.000 Euro. Die Insolvenzquote ist bei kleinen Betrieben höher als in größeren Firmen. Ein Dienstleistungsunternehmen kann man allerdings auch ohne großes Startkapital aus der Taufe heben, und darauf zielt das Konzept der „Ich-AG“. „Manchmal reicht doch schon ein Fahrrad und ein Abstellraum“, sagt Gunter Kayser vom IfM. Der Mittelstandsforscher sieht „genügend Nachfrage“ für die Kleinstfirmen.

Dabei zielt die Gründeroffensive nicht nur auf Marktlücken. Die Politik hofft auch, dass sich mit der neuen Förderung so manche Schwarzarbeit in blütenweißes „Ich-AG“-Unternehmertum verwandelt. Vielleicht ist es für manchen arbeitslosen Maurer doch angenehmer, offiziell als „Ich-AGler“ auf dem Markt aufzutreten, als sich heimlich neben dem Arbeitslosengeld schwarz auf dem Bau etwas dazuzuverdienen. In drei Jahren bekommen die Ich-AGler immerhin insgesamt 14.400 Euro vom Arbeitsamt geschenkt.

Auch Ich-AGs müssen irgendwann mal durch Kundschaft verdienen und nicht durchs Arbeitsamt

Doch ein paar Hürden gibt es auch für die neuen Selbstständigen. So müssen Handwerker, die eine Existenz gründen wollen, nach wie vor den Meisterbrief besitzen. Und wer einen Kredit benötigt, wird automatisch von der Bank einer strengen Prüfung unterzogen.

Auch hat die Förderung einige Nachteile: Einmal dürfen die Ich-AGler niemanden beschäftigen außer mithelfenden Familienangehörigen. „Das ist für gastronomische Betriebe, die von Immigranten gegründet werden, kein Problem, für alle anderen aber eine starke Einschränkung“, sagt der Berliner Unternehmensberater Eberhard Mutscheller. Zudem müssen sich die Ich-AGler wie alle Selbstständigen selbst versichern. Fast 400 Euro monatlich fressen die Beiträge für Renten- und Krankenkasse auf. Für Kleinverdiener lohne sich die Selbstständigkeit daher nicht, meint Eberhard Mutscheller. „Für die wäre es besser, einen Job als Angestellte zu finden.“ Doch genau daran herrscht in diesem Land Mangel.

Einige hunderttausend neue Jobs erhofft sich Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) durch die neuen Programme im Hartz-Konzept, zu dem auch die Ich-AG gehört. Die Selbstständigkeit zu fördern, um der Arbeitslosigkeit abzuhelfen, ist jedoch keine neue Idee: Gründeroffensiven gab es auch schon im Osten in den 90er-Jahren – die Pleitewellen schwappten hinterher. Experten warnen vor zu viel Optimismus. Mutscheller: „Die Massen an neuen Gründern sehe ich noch nicht.“