Ratten auf Suche nach Obdach

Zukunftsangst geht um bei den Schauspielern des Obdachlosentheaters Ratten 07. Morgen zieht das Ensemble aus der Volksbühne aus, dem Ort, an dem es heute Abend sein zehnjähriges Bestehen feiert. Heimat-Ersatz ist noch nicht in Sicht

von CHRISTOPH TITZ

Was sagt ein Schauspieler zum Thema Obdachlosigkeit? „Ick möcht’et nie wieder sein.“ Das Zitat ist kein Satz aus einem Theatertext. Der so spricht, weiß selbst, wie es sich draußen lebt. Heimat wurde ihm und den anderen Mimen des Obdachlosentheaters Ratten 07 die Gemeinschaft mit den anderen und die Aufgabe, Theater zu spielen. Diese Sicherheit ist jetzt in Gefahr, denn die Ratten verlassen mit der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ihre Stammadresse.

In den zehn Jahren des Bestehens ihrer Truppe haben sich die Ratten mittlerweile zu einem relativ festen Ensemble entwickelt. 1991 begann die gemeinsame Schauspielerei als einmalige Aktion, doch die Teilnehmer gingen nicht wieder fort, sie wollten beim Theater bleiben. Probenort und Spielstätte ist seitdem über eine Dekade die Volksbühne. Immer wieder verließen sie zwar die festen vier Wände und spielten, wo sie herkamen, auf der Straße, in S-Bahn-Bögen und gar in einem Parkhaus der ehemaligen SED-Fahrbereitschaft.

Heute Abend gibt es die große Abschiedsgala mit dem durchaus programmatischen Titel „Unternehmen Überleben“. Ab morgen dann heißt es wieder auf der Rolle sein. Volksbühne und Ratten betonen beide, die Initiative zum Auszug gehe von dem Off-Ensemble selbst aus. Stephan Müller, künstlerischer Leiter der Laientruppe, versichert, man habe gemeinsam beschlossen, das Ratten-Projekt „in die Selbstständigkeit zu überführen“. Die Zeiten hätten sich eben geändert.

Mit Lob für die Volksbühne spart er nicht: „Kein anderes Theater wäre je zu einem solchen Projekt bereit gewesen.“ Auch Andrea Koschwitz, Sprecherin der Volksbühne, unterstreicht, dass der Impuls zum Auszug von den Ratten kommt. „Die Unabhängigkeit ist wichtig, die Ratten spielen seit fünf Jahren in fester Besetzung und sind eine semiprofessionelle Truppe geworden.“ Auch wenn sie es nicht offen sagt: Bisweilen kollidierten obdachloser Lebensstil und Kulturbetrieb gehörig. „Probleme gab es immer wieder“, umschreibt Koschwitz die Differenzen zwischen Theater und Clochard-Bühne.

Die Volksbühne zieht sich vorerst nicht ganz aus dem Ratten-Projekt zurück. Für ein Jahr hat sie zugesagt, für die Miete eines neuen Probeortes aufzukommen. Müller sucht derzeit ein neues Haus für die Ratten. Das will er sich mit zwei weiteren Theatergruppen teilen. „Das LIZ-Theater und das Hexenkessel-Hoftheater machen sich mit uns auf die Suche“, erlärte er. Die Finanzierung über das kommende Jahr hinaus ist nicht gesichert. Mitte Februar wird Müller bei der Senatsverwaltung für Kultur vorsprechen und über weitere Zuschüsse verhandeln. Außerdem setzt er auf das Arbeitsamt. Hier will er erreichen, dass an neuer Spielstätte die Arbeit der Techniker und Bühnenbauer als Fortbildungsmaßnahme anerkannt – und bezahlt wird. Wenn aus diesen Plänen und der Suche nach einer neuen Heimat nichts wird, bleibt das, was die Großstadtvaganten nur zu gut kennen: Obdachlosigkeit.