Bildungs-Rummel mit Tiefgang

Viele bunte Projekte und drei nachdenkliche Diskussionen: Bildungstag im Rathaus. Lemke: „Keine Jubelveranstaltung“

taz ■ Es war so etwas wie symbolische Politik, was da gestern im Rathaus vor über vierhundert geladenen Gästen über die Bühne ging. Beim ersten Bremer Bildungstag waren alle gekommen – LehrerInnen, SchülerInnen und PolitikerInnen –, um zu sehen, was doch noch geht im Bildungsnotstandsland Bremen. Zwanzig Schulen präsentierten kreative, unterrichtsübergreifende Projekte, in drei Diskussionsforen wurden außerdem Maßnahmen erörtert, die der Hansestadt nach Pisa aus der Bildungs-Patsche helfen könnten.

Während drinnen so prominente Menschen wie Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) allen Anwesenden Mut zusprachen (“Bildung geht in Pisa nicht auf“), nutzten draußen Interessenvertreter und Parteien die Gunst der Stunde. Die Lehrergewerkschaft demonstrierte einmal mehr gegen die von Senator Willi Lemke (SPD) angekündigte Arbeitszeit-Verlängerung, die Schülervertretung wandte sich gegen die Einführung der sogenannten Profiloberstufe und des Zentralabiturs. Auch die Schillpartei kochte ihr Süppchen vor dem Rathaus mit plakativen Forderungen.

Drinnen ging es konkreter zu. So stellten Schülerinnen und Lehrer der Geschwister-Scholl-Schule in Bremerhaven an einem der zwanzig Marktstände ihre Zusammenarbeit mit dem Alfred-Wegner-Institut vor und betonten auf Nachfrage, solche Projekte seien nicht mehr möglich, wenn die Profiloberstufe in Zukunft Fächerkombinationen vorschreibe und das Zentralabitur den Lehrern keine eigenen Schwerpunktsetzungen mehr erlaube. Peter Grapenthin, Schulleiter, teilte die Befürchtungen: „Wir sind bei überregionalen Tagungen immer beneidet worden um Arbeitsbedingungen, die solche Projekte ermöglichen. Das wird wohl bald vorbei sein.“

Auch in den drei Foren – sie hatten sich die Aufgabe gestellt, die Empfehlungen des Bremer „Runden Tisches“ Bildung zu konkretisieren – lautete die deutliche Botschaft, dass Qualität und Eigeninitiative nicht von oben organisiert werden können. So plädierte der Berliner Schulexperte Gerold Becker im Forum „Soziale Benachteiligung ausgleichen“ für konkrete und vor Ort, also an einzelnen Schulen entwickelte Strategien gegen den „beschämenden Zusammenhang von sozialer Lage und Bildungsniveau“. Unmissverständlich seine Botschaft ans Lehrpersonal: „Jedes gute Projekt wird getragen von einer Gruppe hochentschlossener Pädagogen“. Es müsse zur „Berufszufriedenheit der Lehrer“ beitragen, wenn schwierige Schüler gehalten würden – anstatt „die organisierte Abschieberei in andere Institutionen zu betreiben“. Mit zusätzlichen Förderkursen allein sei der sozialen Schieflage des bremischen Schulsystems nicht beizukommen, so der Experte.

Der Bremerhavener Schulleiter Werner Ihnen, der sich mit „Schulen in schwierigen Lagen“ befasst, plädierte für Schulversuche, in denen das vorherrschende dreigliedrige Schulsystem zugunsten einer langen gemeinsamen Schulzeit korrigiert wird. „Wir brauchen dringend solche Versuche, und wir brauchen ausreichend Zeit dafür“. Werner Ihnen kritisierte vor diesem Hintergrund die vom Senat beschlossene Abschaffung der Orientierungsstufe in der fünften Klasse, ohne gleichzeitig zu sagen, was an ihre Stelle tritt.

Nach wie vor sorgt die Große Koalition hier für Verunsicherung, weil die CDU für eine Aufteilung der Schüler und Schülerinnen nach der vierten Klasse plädiert und die SPD sich – im Sinne der Pisa-Ergebnisse – auch für eine sechsjährige Grundschule erwärmen könnte. Bildungssenator Lemke vermied gestern allerdings diesbezügliche Stellungnahmen. „Die Strukturen vernachlässige ich bewusst“, sagte er bei der Pressekonferenz zum Bildungstag, den er „nicht als Jubelveranstaltung, aber als Aufbruchssignal“ verstanden haben wollte: “Wir haben kein Öl, wir müssen in die Köpfe unserer Kinder investieren.“ Elke Heyduck