Der Lauf des Lebens

Eine kleine Feier des rüden Schnappschusses, des groben Lichtes und der Fehlfarben. Und eine Meditation über das Hastige und Gemeine der Fotografie: Das Kunst- und Medienzentrum Adlershof zeigt alte und neue Arbeiten der Fotografin Tina Bara

von BRIGITTE WERNEBURG

Der Name des Fotolabors, in dem die Leute ihre Knipserbilder entwickeln lassen, ist Programm: o.k. labor. Vielleicht ist der Name etwas zu optimistisch, denn die Abzüge, die hier entstehen, zeigen üblicherweise Bilder, die nicht besonders gelungen sind; die, na ja, gerade mal okay sind. Die Berliner Fotografin Tina Bara nutzt diesen Umstand für sich. Auch sie lässt hier ihre Fotos entwickeln, die sie mit einer simplen Automatikkamera von sich selbst macht. Seit 1995 nimmt sie die Kamera, hält sie auf Armlänge entfernt und drückt ab. 65 dieser auf Laserkopie abgezogenen Selbstporträts sind nun unter dem Titel „o.k. labor“ in einem Raum des Kunst- und Medienzentrums Adlerhofs zu sehen, im Rahmen ihrer großen Werkschau „fragile portraits“, die zuvor schon in Erfurt und Cottbus zu sehen war.

Die Fototapete aus Tina Baras Selbstproträts kann als eine Hommage an den Alltag der Fotografie gesehen werden. Als eine kleine Feier des rüden Schnappschusses, des groben Lichts und der Fehlfarben; als eine Meditation über das Hastige, Gemeine und Schnelle der Fotografie und über das Obszöne jeder Selbstdarstellung, die immer eine Selbstentblößung ist. Entsprechend meint Bara auch, dass sie mit diesen Bildern das Pathos trivialisieren wollte, das immer im Spiel ist, wenn man die Kamera auf die eigene Person richtet.

Doch Tina Bara scheut das Pathos keineswegs. Das machte auch wenig Sinn, schließlich ist ihr Thema das Porträt, das große Thema der Fotografie von Anfang an. Ein schwieriges Feld, das mit großen Namen verbunden ist und einer langen Geschichte. Tina Bara versteht allerdings den Druck, den die klassische Bildtradition dem Thema Porträt aufbürdet, als Einladung zur Selbstreflexion; kontextbezogen wie auch medienimmant etwa in der Serie „Matura“. Hier bat sie junge Mädchen, die gerade Abitur machten, ihr zwei Bilder aus den Medien zu nennen, in denen sie sich wiedererkennen könnten. Diese Vorlagen inszenierte sie dann erneut mit den Mädchen nach. Bei diesem Projekt arbeitete Bara mit der Plattenkamera, was den Prozess des Fotografierens verlangsamte, die klassische Studiosituation evozierte und die Frage nach der Pose und wie diese in der Haltung ihrer Protagonistinnen einerseits nachgestellt, andererseits aber modifiziert und deutlich individualisiert wird, offen zu Sprache brachte. Die intelligente Sensibilität, die bei der Ausarbeitung des Projekts greifbar ist, liegt übrigens auf beiden Seiten. Man staunt über die wohl durchdachte Auswahl der Mädchen, die Affirmation und Widerstand zugleich beinhaltet. Die Ikone Kate Moss allerdings wird man nach „Matura“ kaum mehr unterschätzen.

Eigentlich sollte Tina Bara Historikerin werden. Denn als sie so alt war wie ihre „Matura“-Mädchen, schrieb sie sich im Fachbereich Geschichte an der Humboldt-Universität ein. Im dissidentischen Milieu des Prenzlauer Bergs der Achtzigerjahre fand sie autodidaktisch zur Fotografie, bevor sie sich an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, an der sie heute Professorin ist, immatrikulierte. Ihr Weg zur Fotografie wundert freilich wenig, wenn jetzt in der Ausstellung große Schwarzweißabzüge von Fotos zu sehen sind, die die 14-Jährige anlässlich einer Geburtstagsfeier 1976 in Guben von ihren Freundinnen schoss. Alle, sie selbst eingeschlossen, postierten sich in gleicher Weise vor dem Bushäuschen, von dem aus sie zur Schule fuhren. Schon hier ist die Serie, die Sequenz oder Werkgruppe da, die Tina Baras fotografische Arbeit auszeichnet. Eigentlich war sie schon mit 14 eine fertige konzeptuelle Fotografin.

„Station“, die alte Serie von 1976, hat Bara nun um die Schautafel „Station 2002“ erweitert, die sie anlässlich eines Klassentreffens erstellte. Auf ihr vermerkte sie, welchen Beruf die Mädchen ihrer Klasse heute haben, ob sie verheiratet, geschieden oder verwitwet sind, wie viele Kinder sie haben, was sie als negativ oder positiv in ihrem Leben bewerten. Auch diese Erweiterung des fotografischen Bilds um den Text, die soziologische Anmerkung, ist charakteristisch für Tina Baras Porträtarbeit. Zum einen sind ihre Werkgruppen niemals als abgeschlossen zu betrachten, es geht tatsächlich um ein work in progress. Zum anderen gehört die Selbstreflexion, der eigene, aber auch fremde Kommentar – ob visuell oder verbal im Videodokument, der Tonaufzeichnung und deren schriftlicher Transkription mitgeliefert – notwendigerweise zu ihrem Werk, das Objekte, andere Medien, Montagen, Bild-Text-Kombiationen und Rauminstallationen umfasst. Diese Vielschichtigkeit in Tina Baras Vorgehen führt denn auch zu gleichzeitig sehr direkt wie außerordentlich intim anmutenden Portraits. Zu Bildern von Frauen, die hier als Freundinnen erkennbar werden. Zu Bildern, die einen spontan angehen, die schlicht ungeheuer interessieren.

Bis 18. Februar, Kunst- und Medienzentrum Adlershof, Dörpfeldstr. 56, Mo., Do., Fr. 11–19, Di. 11–17, So. 14–19 Uhr, Katalog Kunsthalle Erfurt 2002, 15 €