Das traurige Ende vom Winternachtstraum

Leverkusen kann doch noch gewinnen und besiegt im DFB-Pokal per Elfmeter einen Fluch namens Unterhaching

UNTERHACHING taz ■ Der Schmerz war keine fünf Minuten alt, da stand Francisco Copado vor den Kameras. Und lächelte. Links und rechts von ihm gingen seine Mitspieler wortlos an den Journalisten vorbei, mit versteinerten Gesichtern. So wie man sich als Regionalligist fühlt, wenn ein Winternachtstraum 6:7 im Elfmeterschießen endet. Im Viertelfinale des DFB-Pokals. Aber Copado lächelte. Der Unterhachinger Stürmer sagte im Interview nicht mehr als alle anderen. Dass das Leben unfair sein kann, dass sie gut gespielt haben, viel besser als Leverkusen. Nur konnte sich Copado schon darüber freuen.

Bayer Leverkusen gegen die Spielvereinigung Unterhaching, „die alte Geschichte von der verlorenen Meisterschaft im Mai 2000“, wie Nationalspieler Bernd Schneider es formulierte. Alles längst vergessen, sagte er, bliebe noch: Die drohende Blamage im DFB-Pokal gegen einen drittklassigen Verein. Und der in Form eines Ultimatums angedrohte Rauswurf von Klaus Toppmöller. Hätte er hier verloren, Florian Gerster, Chef der Bundesanstalt für Arbeit, hätte seine gerade erst am Vormittag präsentierte Arbeitslosenstatistik wohl um die Zahl Eins erhöhen müssen. Nach dem Schlusspfiff lief Toppmöller durch das Schneegestöber über das halbe Spielfeld, um Jörg Butt, dem Schützen des Siegtores, um den Hals zu fallen. Diese Umarmung sagte alles.

Sieger wird man erst durch einen Verlierer. Den Mann, der allen leid tat, Darlington Omodiagbe. Einer musste beim Elfmeterschießen versagen, nur so funktioniert das Spiel. Es ist nie fair. Und an Tagen wie diesem ist es eine kleine Tragödie. Omodiagbe hatte wie alle Hachinger gut gespielt, war im dichten Schneegestöber gerannt bis zur Erschöpfung, und dann sprang Jörg Butt in die richtige Ecke. Omodiagbe ward an diesem Abend nicht mehr gesehen. „In drei Tagen spricht niemand mehr über dieses Spiel“, sagte Jan Seifert, Unterhachings Kapitän. Das kann Omodiagbe trösten, aber Seifert wollte etwas anderes damit sagen. Er wollte sagen, dass Unterhaching einen beeindruckenden DFB-Pokal gespielt hat. Und der Lohn ein paar aufmunternde Worte von Journalisten sind. Und fünfzehn Minuten Fernsehausschnitte in der ARD. So schnell kommen sie nicht mehr in die Tagesthemen.

Von der Ersten Liga ging es für Unterhaching direkt in die Regionalliga, so etwas nennt man freien Fall. Dass sie wieder Boden unter den Füßen haben, Tabellenführer der Regionalliga Süd sind, verdankt die Mannschaft ihrem neuen Trainer. Wolfgang Frank, dem das Ende dieses DFB-Pokalabends den größten Schmerz zu bereiten schien. Wortlos, wie es nicht seine Art ist, ging er als Erster in die Kabine, wenn die Augen der Spiegel der Seele sind, hatte ein Blick alles gesagt.

Es gab schönere Bilder an diesem Abend. Das 1:0 von França. Möglich machte es ein Missverständnis zwischen zwei Unterhachinger Generationen. Alexander Strehmel, Verteidiger seit Bundesligazeiten, und Philipp Heerwagen, Torwart, damals ein 14-jähriger Junge vor dem Fernseher. Sie hatten sich aufeinander verlassen, und Leverkusen das 1:0 geschenkt. So endete die erste Halbzeit.

Der Stadionsprecher spielte das eigens für den Abend komponierte Lied „Berlin, Berlin“. Der Text war schlimmer als die Kälte, „Leverkusen, wenn ihr verliert, dürft ihr auch mit uns schmusen“, reimte eine unbekannte Band. 6.500 Besucher im Sportpark tanzten trotzdem auf den Tribünen dazu, es war einfach zu kalt, um still zu sitzen. Über Lautsprecher wurde für den Kauf einer Lederhose beim örtlichen Trachtenladen geworben, bei Minusgraden.

Eine Minute nach Wiederanpfiff der Ausgleich. Die Euphorie hielt drei Minuten, dann traf Carsten Ramelow zum 2:1. Alles beim Alten, Leverkusen führte, Unterhaching dominierte die Rutschpartie im Schnee. Nach 63 Minuten das 2:2, durch Goran Sukalo. Dabei blieb es bis zur 90. Minute, bis zur 120. Minute, bis zum Elfmeterschießen, das Jörg Butt beendete.

„Ich habe den Spielern eben in der Kabine gesagt, wer so ein Spiel gewinnt, hat den ersten Schritt nach vorne gemacht“, sagte Klaus Toppmöller. Vorne, damit meinte er die Rückkehr zur Normalität. In der müssten elf Weltklassespieler eben auch Weltklasse spielen. Lange ist es nicht her, dass Leverkusen eine der besten Mannschaften Europas hatte. Unterhaching wäre für Bayer in der Tat ein guter Ort, um als Phönix aus der Asche zu steigen. MARC BAUMANN