Ein Abend für Genießer

Je schlechter die Lage der Regierung, desto besser die Laune von Oskar Lafontaine. Bei seinen Auftritten liegt ihm das Publikum wieder zu Füßen

HAMBURG taz ■ Auf dem Tisch steht – natürlich – eine Flasche italienischen Rotweins. Es ist ein Abend wie gemalt für den Genießer Oskar Lafontaine. Am Morgen sind die neuen Horror-Arbeitslosenzahlen veröffentlicht worden. Am Nachmittag hat der US-Außenminister seine Entschlossenheit zum Krieg demonstriert. Am Abend muss Lafontaine diese Steilvorlagen nur aufnehmen, und das Publikum in der Evangelischen Akademie Hamburg liegt ihm bei seinen Attacken gegen „das, was ich Neoliberalismsus nenne“, zu Füßen.

Im Publikum regiert an diesem Mittwochabend die Haarfarbe Grau. Im voll besetzten Saal sitzen die alten Friedensfreunde, die von der rot-grünen Politik desillusionierte Basis. Es sind die, die schon mehrere Schlachten geschlagen haben: gegen die Nachrüstung in den 80ern, gegen den Golfkrieg in den 90ern. Oskar Lafontaine, der Outcast und Wiedergänger der SPD, ist jetzt ihr Hoffnungsträger. „Ich wünsche Ihnen wieder mehr Einfluss in der SPD und in der Bundespolitik“, sagt eine ältere Dame, und Lafontaine nimmt das leicht grinsend ohne Kommentar zur Kenntnis.

Ohnehin werden die, die ein Sperrfeuer gegen die SPD des Bundeskanzlers erwarten, an diesem Abend ein bisschen enttäuscht. Der frühere Bundesvorsitzende kündigt nur an, dass er sich an den Ratschlag von SPD-Fraktionschef Müntefering, Lafontaine solle besser den Mund halten, „auch in Zukunft nicht halten werde“. Die Wahlergebnisse vom Sonntag seien „Resultat der Unzufriedenheit der Wähler mit der gegenwärtigen Steuer- und Sozialpolitik“, sagt er noch. Und, direkt angesprochen auf die Irakpolitik des Bundeskanzlers: „Mit der Richtung bin ich zufrieden, mit der Vorgehensweise nicht.“ Schröder habe es versäumt, eine gemeinsame Position der Europäer gegenüber den USA herzustellen.

Überhaupt ist der Krieg, „der längst beschlossen ist“, sein Thema. Er macht die amerikanischen Ölgesellschaften und die Waffenindustrie als Triebmächte der US-Politik aus und wünschte sich, dass man gegen „Saddam persönlich eher mit polizeilichen Mitteln vorgeht, statt mit Flächenbombardements auch Unschuldige zu treffen, wie es die Amerikaner und Briten gerade hier in Hamburg schon im Zweiten Weltkrieg getan haben“.

Das darf Lafontaine später am Abend im Fernsehen als Gast von Michel Friedman noch einmal ausführlich ausbreiten. Der Saarländer ist wieder gefragt. Die Zeit, in der sich die Medien nicht mehr für ihn interessierten, weil seine Rolle in der SPD ausgespielt schien, ist vorbei, und man spürt, wie wohl er sich dabei fühlt.

Wobei ihn die offizielle Sozialdemokratie weiterhin wie ein Schmuddelkind behandelt. Von den hanseatischen SPD-Funktionären ist demonstrativ niemand erschienen. Als Lafontaine wieder mal zum Rundumschlag ausholt, fragt einer im Publikum leise seinen Nebenmann: „Ist Lafontaine eigentlich Marxist? Weißt du das?“ Auf die Frage, „Oskar, willst du eine neue Partei gründen?“, antwortet Lafontaine allerdings nicht.

Den Leuten gefällt das, was sie hören. Einer sagt: „Ich bin nicht hergekommen, um Ihnen zuzujubeln, sondern um Ihnen auf die Finger zu gucken. Und ich muss sagen: Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich gehört habe.“ Der Redner ist es auch. Er fühlt sich im Aufwind.

PETER AHRENS