Am Gleisdreieck geht‘s rund

Muss man sich das ganze Elend noch von oben anschauen? Man muss, findet der Projektentwickler Dirk Nishen und will Berlin mit weltweit größtem Riesenrad beglücken. Bahn hat noch Höhenangst

von UWE RADA

In Krise, Krieg und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Wie ein Menetekel hat der alte Spontispruch die Stadtplanung des Senats in der Nachwendezeit begleitet. Und er ist offenbar aktueller den je, wie das Beispiel des alten Spontis Dirk Nishen zeigt. Der ehemalige Kreuzberger Verleger und spätere Infobox-Mitbetreiber will auf dem Gleisdreieck ein Riesenrad bauen. Und weil Berlin nichts so sehr scheut wie die Mittelmäßigkeit, soll das Riesenrad mit 150 Meter gleich auch noch das höchste der Welt werden.

Natürlich ruft solches Spektakulum nicht nur Reaktionen hervor, sondern auch Reflexe. Beim Kreuzberger Baustadtrat Franz Schulz (Grüne) zum Beispiel. Der ließ im Dezember, als die Kreuzberger Bezirksverordneten mit dem Thema konfrontiert wurden, mit den Worten „Uns bleibt auch nichts erspart!“ einen veritablen Klageseufzer gen Himmel fahren. Ganz anders dagegen der Reflex von Bausenator Peter Strieder (SPD). Prinzipiell aufgeschlossen sei er, lässt seine Verwaltung wissen, was so viel ist wie ein Wink an den Bezirk.

Nachdem inzwischen zwei Monate übers Gleisdreieck gegangen sind, haben sich die Wogen geglättet. Schulz fragt inzwischen nur noch, ob das Ganze überhaupt wirtschaftlich betrieben werden kann, und selbst die Bürgerinitiative AG Gleisdreieck hat inzwischen per Gegendarstellung dem Tagesspiegel untersagt, weiterzuverbreiten, dass man das Projekt ablehne. Richtig muss es nun heißen: „Die AG Gleisdreieck lehnt das Projekt nicht pauschal ab, sondern setzt sich differenziert mit der Projektidee auseinander.“

Dirk Nishens Kommunikationsstrategie zumindest ist aufgegangen. „Wir entwickeln das Projekt mit, und nicht wie die Olympiabewerbung gegen Berlin“, lautet seine Devise. Nachdem also auf politischer Ebene der Teppich ausgerollt ist, dreht sich alles nur noch um die Bahn AG. Denn ohne eine Rahmenvereinbarung mit der Bahn und dem Grundstückseigentümer Vivico (einer Bahntochter) liegen die Entwicklungspläne für das Gleisdreieck auf Eis. Das betrifft nicht nur das Riesenrad, sondern auch die Erweiterung des Deutschen Technikmuseums sowie den 20 Hektar großen Anwohnerpark, als dessen Schutzpatronin sich die AG Gleisdreieck begreift. Grund für die Verzögerung ist offenbar, dass sich die Bahn selbst noch nicht über den eigenen Flächenbedarf im Klaren ist. Während offiziell noch am Bau eines 150 Meter hohen Turms als neuer Konzernzentrale festgehalten wird, wird hinter vorgehaltener Hand bereits getuschelt, dass dieser Höhenflug alsbald schon am Geld scheitern könnte. Gleiches, unken die Kritiker, könne auch dem Riesenrad widerfahren. Immerhin habe Nishen bereits seine Firma Nishen Kommunikation in die Insolvenz geschickt.

Nishen selbst dagegen betont, dass die Finanzierung kein Problem sei. Näheres werde aber erst genannt, wenn das Baugrundstück und damit der Grundstückspreis feststehe. Auf alle Fälle werde es kein zweites Tempodrom werden. Nishen: „Öffentliche Fördergelder nehmen wir nicht in Anspruch.“

Was immerhin schon bekannt ist, sind die Eintrittpreise. Eine halbe Stunde über dem Himmel von Berlin soll 12 Euro kosten, Kinder ab sechs Jahren zahlen 2,50, und noch jünger fährt umsonst. Und damit das Ganze auch am Boden nach was aussieht, stellt sich Nishen allerlei Buden und Kirmes vor. „Eine Shopping-Mall aber gibt es mit mir nicht.“ Natürlich, das wäre ja auch der Mittelweg gewesen. Bretterbuden und Riesenriesenrad, das ist eben die Berliner Mischung.