EU-Verfassung unfreiwillig utopisch

Der vom EU-Konvent vorgelegte Entwurf für den Verfassungsartikel zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik geht dank der Irakkrise völlig an der Realität europäischer Außenpolitik vorbei, obwohl er sich an den bisherigen Abmachungen orientiert

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Diese Woche hat das Präsidium des Konvents, der die Europäische Union reformieren soll, die ersten 16 Artikel des Verfassungsentwurfs vorgelegt. Das Timing könnte kaum ungünstiger sein: Ausgerechnet der Passus über die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik steht jetzt neben den Grundrechten und der Kompetenzverteilung zur Diskussion. Seit Beginn der Irakkrise haben sich die Ansätze gemeinschaftlichen Auftretens in nationalstaatliche Alleingänge zurückverwandelt, die gemeinsame Außenpolitik hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Der nun vorgelegte Artikel 14 wirkt plötzlich unzeitgemäß: „Die Mitgliedsstaaten sollen aktiv und ohne Vorbehalt die Außen- und Sicherheitspolitik der Union im einem Geist von Loyalität und wechselseitiger Solidarität unterstützen. Sie sollen sich sämtlicher Aktionen enthalten, die den Interessen der Union entgegenstehen oder geeignet sind, ihre Wirksamkeit zu unterminieren.“

Konventspräsident Giscard d’Estaing wurde ungewohnt persönlich, als er Artikel 14 erläuterte: Da saß plötzlich ein alter Herr, dem bei der weltpolitischen Lage Zweifel kommen, ob seine Mühe für eine europäische Verfassung überhaupt noch Aussicht auf Erfolg hat. „Ein gewisses Gefühl von Skepsis und Melancholie“ habe ihn erfasst, gestand er.

Tatsächlich scheint es beim jetzigen Tiefpunkt der europäischen Außenpolitik realitätsfern, weiter am Haus Europa zu bauen. Der konservative französische Europaabgeordnete William Abitbol: „Wir werden Zeugen eines Putsches in der Union. Die Anhänger des amerikanischen Europa überrennen die europäischen Europäer.“ Ob der Konvent ernsthaft vorhabe, nach Kriegsausbruch weiter zu tagen, als ob nichts geschehen sei?

„Wir müssen unsere Sitzungen in einem solchen Fall verdoppeln“, meint dagegen das grüne Konventmitglied Johannes Voggenhuber. Für den konservativen Europaparlamentarier Elmar Brok ist die Irakkrise „Katalysator unserer Arbeit“. Gerade jetzt zeige sich, wie nötig Europa eine starke Verfassung brauche.

Der tschechische Abgeordnete Jan Zahradil fürchtet dagegen, dass einzelne Mitgliedsländer die gemeinsame Außenpolitik für eigene Ziele instrumentalisieren könnten. Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel sagte: „Eine einheitliche europäische Außenpolitik ist eine dringende Notwendigkeit, die ich unterstütze – aber nur in enger Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“ Die Außenminister der EU, die inzwischen in großer Zahl persönlich in den Konvent eingezogen sind, schwiegen dazu.

Es wäre ihnen auch schwer gefallen, ihr Verhalten zu rechtfertigen, das den derzeit gültigen Verträgen widerspricht. So steht im Maastricht-Vertrag von 1992: „Die Mitgliedsstaaten unterstützen die Außen- und Sicherheitspolitik der Union aktiv und vorbehaltlos im Geiste der Loyalität und der gegenseitigen Solidarität.“ Was der Konvent plant, ist somit keine Revolution, sondern Bestandsschutz. Angesichts der Lage wirkt es wie Utopie.

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