„Wir brauchen Impulse für Investitionen“

Die Parteilinke Andrea Nahles, Mitglied im Bundesvorstand der SPD, über den Vorschlag der Regierung Schröder, den Kündigungsschutz zu lockern, und über dringend notwendige Kurskorrekturen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik

taz: Frau Nahles, wo sehen Sie die Ursachsen für die Wahlniederlage der SPD in Hessen und in Niedersachsen?

Andrea Nahles: Ich sehe das Hauptproblem darin, dass sich die SPD einseitig auf Haushaltskonsolidierung konzentriert hat. Diese Politik ist nicht nur nicht mehr zu verantworten, sondern man kann sie auch nicht mehr vermitteln. Wir fordern deshalb einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Wir brauchen jetzt zusätzliche Impulse für Investitionen und Steuersenkungen.

Wie sollen diese Impulse aussehen?

Nun, zunächst einmal ist die Geschichte, die die Welt am Freitag verbreitet hat, falsch. Wir fordern in der Endfassung unseres Strategiepapiers nicht, dass der Solidaritätszuschlag für ein Jahr ausgesetzt wird. Wir fordern unter anderem, dass Teile der Einkommensteuerreform rückwirkend zum 1. Januar 2003 vorgezogen werden. Das soll sich aber nur auf die unteren und mittleren Einkommensgruppen beziehen. Die müssen wieder zu Geld kommen, damit sie konsumieren können. Die Reichen haben kein Konsumproblem. Außerdem müssen wieder zunehmend Investitionen getätigt werden. Einer unserer Vorschläge ist deshalb, die Gewerbesteuerzulage zu senken, um die kommunale Investitionstätigkeit zu fördern. Zudem fordern wir eine zeitlich befristete Investitionszulage auf Neuinvestitionen.

Die Umsetzung Ihrer Vorschläge würde zu einer höheren Neuverschuldung führen.

Das ist absolut richtig. Aber der Sparkurs von Hans Eichel führt automatisch zu einer höheren Neuverschuldung. Mir ist es ein Rätsel, wie er mit 4,6 Millionen Arbeitslosen unter 3 Prozent bleiben will. Die Frage ist doch: Wollen wir unsere Wirtschaft weiter strangulieren und trotzdem über die 3-Prozent-Marke rutschen, oder wollen wir Investitionen fördern, die Wirtschaft ankurbeln und damit beschäftigung schaffen?

Sollte dann auch gleich das Steuerpaket für 2003 gekippt werden?

Ich halte in der jetzigen konjunkturellen Situation jede Steuererhöhung nicht für sonderlich hilfreich, sondern für bremsend. Mit Ausnahme der Körperschaftsteuer sollten Mehreinnahmen erzielt werden. Das ist auch Konsens mit den Unionsparteien.

Was halten Sie von Schröders Vorschlag, den Kündigungsschutz zu lockern, sofern die Arbeitgeber tatsächlich zusätzliche Einstellungen garantieren?

Versprechen der Arbeitgeber kann ich nicht mehr ernst nehmen. Verbindliche Zusagen können sie schließlich nicht geben. Das sagen die Arbeitgeber selber, und das hat man leider feststellen müssen, da die zugesagte Ausbildungsgarantie nicht eingehalten wurde. Ich halte das für einen weiteren Versuch, die Arbeitnehmerrechte einzuschränken, ohne Gegenleistung zu erbringen.

Glauben Sie, Ihre Ideen zur Kurskorrektur umsetzen zu können? Wo sehen Sie Unterstützer in der Bundestagfraktion und in den Landesverbänden?

Es muss sich viel ändern. Die Partei muss ihr sozialdemokratisches Profil zurückgewinnen. Man erwartet jetzt klare und durchdachte Konzepte.

Trotzdem werden Stimmen in der SPD-Spitze laut, die sich für eine Annäherung an die Union aussprechen.

Jetzt ist es an der Zeit, die besten Lösungen zu diskutieren und dann umzusetzen. Natürlich wird es jetzt im Bundesrat schwieriger, Positionen durchzusetzen. Doch letztendlich muss sich die SPD fragen, ob sie mit eigenen Konzepten und sozialdemokratischem Selbstverständnis auftreten will oder ob sie ihre Politik über Bord wirft und die Politik der Gegenseite übernimmt. Das ist sicherlich eine schwierige Frage, besonders bei der Gesundheitspolitik. Doch die Leute sind jetzt schon frustriert, irritiert und verunsichert. Es ist Zeit, wieder sozialdemokratisches Profil zu gewinnen.

Wie stark hoffen Sie persönlich an den anstehenden Kurskorrekturen mitwirken zu können? Sie sind ja kein Mitglied des Bundestags mehr.

Ich habe überhaupt keine Sorge, dass ich da nicht mitwirken könnte. Die Frage ist ja nicht, welches Amt ich bekleide, sondern wie viele in der Partei sich meinen Positionen anschließen. Und außerdem bin ich ja weiterhin im SPD-Vorstand. Ich bin keine Solistin. Wir Linken sind ein ernst zu nehmender Faktor in der SPD.

INTERVIEW: PHILIPP DUDEK