Keine Reue, nirgends

Autobiographisch motiviertes Drama eines Autors, der zufällig das Pinochet-Massaker überlebte: Peter Löscher inszeniert Ariel Dorfmanns „Purgatory“ spannungsreich an den Kammerspielen

von CAROLINE MANSFELD

Auf der Bühne eine graue Zelle, halb kühles Fernsehstudio mit blendenden Scheinwerfern, vielleicht aber auch ein Irrenhaus oder ein Gefängnis. Ein Tisch und zwei Stühle. Ein Mann, Herbert Knaup, und eine Frau, Charlotte Schwab, umkreisen einander darin wie zwei Raubkatzen im Käfig. Und fechten die großen Lebensthemen aus: Liebe, Verrat, Tod. Selten haben zwei Schauspieler in knapp zwei Stunden so beklemmend im Innersten berührt, wie in Ariel Dorfmanns Purgatory – Fegefeuer, das in der Regie von Peter Löscher in den Hamburger Kammerspielen eine grandiose Uraufführung feierte.

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ erscheint als Bibelzitat auf dem Vorhang. Und weil es das alles schon einmal gegeben hat, beleiht Dorfmann den antiken Medea-Mythos, um eine zeitlose Geschichte zu erzählen. Medea, jene antike Rächerin des Euripides, kehrt Vater und Vaterland den Rücken, um in der Fremde mit Jason das Goldene Vlies zu suchen. Sie heiratet ihn, bekommt zwei Söhne. Als er sie für eine junge Königstochter verlässt, vergiftet sie aus Rachsucht erst die Geliebte und deren Vater. Später ersticht sie die eigenen Söhne.

Die großartige Charlotte Schwab ist diese Rächerin. In schwarzer Lederjacke mit wirrem dunklen Haar geht sie sofort als eiskalte Hexe und Mörderin durch. Ihr Gesicht erscheint per Video auf einer riesigen Leinwand. Jetzt sitzt sie ein, ist Gefangene einer unsichtbaren Macht. Ausgeliefert an einen Untersuchungsrichter, der sie wie ein Fernsehkommissar einkreist und provoziert bis zur körperlichen Demütigung. Gleichzeitig erliegt er der Faszination dieser kühlen, berechnenden Frau. Scheinbar will er ihr nach „draußen“ verhelfen. Doch die Regeln in diesem Spiel bestimmt er. Mit „draußen“ kann nur eine Art von Wiedergeburt oder ein Aufgehen im Ewigen gemeint sein. Um dahin zu gelangen, muss sie bereuen und vergeben, doch sie bereut nicht. Verbindet sich die Augen, um ihre Schuld nicht sehen zu müssen: Sie würde es wieder tun. Wenngleich sie erkennt: „Wenn sich eine Frau zur Rache entscheidet, gräbt sie zwei Gräber.“

Bereuen muss auch ihr betrügender Mann eine Zelle weiter. Jetzt ist es ein nervöser, schweißnasser Herbert Knaup, der von der Untersuchungsrichterin verhört wird, die Videokamera auf ihn gerichtet. Er gibt zu, nur aus „Ehrgeiz und Vergnügen“ gehandelt und das Leben seiner beiden Jungen verspielt zu haben. Dabei wusste er um die konsequente Haltung seiner Frau. Aber Buße und Vergebung sind schwer verdauliche Brocken für diesen Menschen und so versucht er, wie so viele, die Abkürzung zu nehmen. Allzu marternd ist das Verhör, die Fragen, mit denen er sich auseinandersetzen muss, gleichen einer Folter. In einer imaginären Szene steht er seiner Frau gegenüber, die er zur Reue veranlassen muss, wenn er eine neue Chance will. Erst „wenn die Zeit dafür reif ist“, werden beide zurückgeschickt.

Es sind die immer gleichen Fragen, die den argentinischen Autor Ariel Dorfmann in seinen Dramen, darunter sein bekanntestes Der Tod und das Mädchen, bewegen. Die Auslieferung des Individuums an ein übermächtiges System, der Verrat einer nahe stehenden Person sind seine Themen.

Den autobiographischen Hintergrund des Dramas liefert Dorfmanns eigene Geschichte: Als Teil der Allende-Regierung überlebte er nur zufällig das Pinochet-Massaker. In Purgatory konstruiert Dorfmann ein raffiniertes intellektuelles Spiel von der Verstrickung der Protagonisten in Schuld und der anstrengenden, oft vergeblichen Qual eines Läuterungsversuchs. Dank zweier hervorragender Darsteller bleibt der Zuschauer allerdings nicht in einem abstrakten Gedankenspiel hängen, sondern muss diesem Prozess einfach atemlos folgen.

weitere Vorstellungen: 9., 11. bis 16., 18. bis 23. Februar, jeweils 20 Uhr, Hamburger Kammerspiele