„Sie haben mich nie enttäuscht“

Jörg Lange ist Albas Berlins verrücktester Fan und schon selbst fast ein Prominenter. Weil er ein Einzelgänger ist, meidet er Basketball-Fanclubs. Der Samstag war ein guter Tag für ihn. Seine Mannschaft hat mit 84:69 gegen Gießen gewonnen

von MARKUS VÖLKER

Treffpunkt McDonald’s in der Schönhauser Allee. Keine Frage, hier ist er wer, der verrückte Albatros. Sein Bild hängt an der Wand der Fastfood-Filiale – neben Fotos von Alba-Spielern. Er beäugt den Schnappschuss, auf dem er aussieht wie der basketballversessene Bruder von Ronald McDonald, dem Clown. „Das ist aber nur mein früheres Outfit“, sagt er. Früher musste er sich die Sachen selber kaufen, jetzt bekommt er sie nach der Saison von den Spielern geschenkt. Er hat mittlerweile ein ganzes Sammelsurium von Hosen und Leibchen, Schuhen und Jacken.

Seine kleine Wohnung in Wedding ist voll gestopft mit Reliquien des Vereins. Er besitzt inzwischen so viel Originalklamotten, dass er sich je nach Anlass verschiedene Kollektionen zusammenstellen kann. Zum Beispiel das Europaliga-Outfit. Es besteht aus dem Trikot von Dejan Koturovic, der Hose von Henrik Rödl sowie Schuhen und Socken von Sven Schultze. Dazu gibt es den Bundesliga-Look, den Liga-Outdoor-Look und die Europaliga-Freiluftvariante. Die Zeiten, als der verrückte Albatros auf den Fanshop angewiesen war, sind vorbei. Damals hatte er noch keinen Spitznamen. Er war nur der Jörg. Jörg Lange, 30 Jahre alt, Gebäudereiniger ohne besondere Vorlieben, vor allem: ohne Lieblingsverein. Seine große Leidenschaft entdeckte er zufällig.

Eine Freundin hatte Karten beim Radiosender Fritz gewonnen. Sie lud ihn ein. Estudiantes Madrid spielte in der Max-Schmeling-Halle. Lange gingen die Augen über. Das war sein Team. Denen wollte er es geben, alles was er hatte. „Ab da jubele ich begeistert mit.“ Seit der Initiation zum verrücktesten Alba-Fan im Jahre 1996 schmiegen sich die Basketballspiele um Langes Alltag wie das Gehäuse um den Einsiedlerkrebs. Es ist eine Gemeinschaft entstanden. Lange lebt für Alba. Und Alba weiß die schrullig-obsessive Zuneigung Langes zu erwidern: mit Geschenken, signierten Basketbällen, verbilligten Karten und der Aufmerksamkeit der Spieler, auf die er oft bis tief in die Nacht wartet. „Sie haben mich eigentlich noch nie enttäuscht“, sagt er. „Das bewundere ich an Alba.“ Er fachsimpelt, schießt Fotos, ist einfach mit dabei. „Das macht mich stolz“, bekennt er. „Na ja, manchmal verzweifeln die auch an mir“, aber es gehe nie so weit, dass sie patzig würden. Im Gegenteil: „Die Spieler fühlen sich manchmal schuldig, wenn sie erst so spät aus der Halle kommen.“

Lange steht immer in der vordersten Reihe, direkt hinter dem Korb. Dort schwenkt er seine vergilbte Fahne und erweckt in seiner verschrobenen Art den Eindruck, als hätte er nicht alle beisammen. Ja, sagt er, er sei schon ein wenig komisch, weswegen er auch immer allein herumstehe, während die übrigen Fans im Pulk jubeln. Weil er ein Einzelgänger ist, meidet er Fanclubs. Mit ein paar Anhängern liegt er sogar im Streit, angeblich, weil er ab und zu etwas miefig in der Halle erschienen sein soll. Eine blöde Geschichte. Sie hat ihm sehr zugesetzt. Jetzt achtet er darauf, zu duschen und seine Outfits in die Reinigung zu bringen. Kostet ja alles Geld, sagt er. Lange lebt von Sozialhilfe. Wegen seiner spärlichen Einkünfte bleibt er bei Auswärtsspielen daheim. Außerdem behindert ihn eine Zuckerkrankheit. Er spritzt mehrmals täglich Insulin. Nach Spielen, die ihn besonders beansprucht haben, ist er am nächsten Tag vollkommen erledigt, weil ihn die Ausflipperei im Block A so viel Kraft gekostet hat.

Er spielt selbst kein Basketball, auch zu den Nachwuchs-Basketballern von TusLi geht er nicht. „Ich komme früh irgendwie schwer aus dem Bett“, erklärt er, „also konzentriere ich mich voll auf Donnerstag und das Wochenende“, die Spieltage. Am Samstag ist er wie üblich zwei Stunden vor Beginn da gewesen. Alba hat gegen Gießen gespielt und mit 84:69 gewonnen – ein Pflichtsieg gegen den Abstiegskandidaten und ein gelungener Tag im Leben Langes. Auch mit seiner Aufmachung lag er richtig. Er trug Trikot und Hose von Nino Garris, der 23 Punkte erzielte. Er hat den halben Film mit Aufnahmen von Garris verknipst. Die Spiegelreflexkamera ist immer dabei. Sie fängt die Existenz des verrückten Albatros ein. „Ohne Alba würde mir der Sinn des Lebens fehlen“, sagt er. Und zieht den Reißverschluss seines Jörg-Lütcke-Anoraks zu.