Frisch verliebt

Hertha zeigt beim 4:2 gegen Schalke seine beste Saisonleistung. Selbst der Manager gerät ins Schwärmen

BERLIN taz ■ Im Leben kommt so etwas ja vor: dass aus heiterem Himmel etwas ziemlich Großes geschieht und man selbst es nicht recht glauben mag, weil es ganz einfach zu groß ist und viel zu schön. Das Herz bummert plötzlich ein wenig wilder, die Hände schwitzen, und selbst härteste Männer bekommen dann diesen weichen Blick und sagen Sätze, die sie noch vor kurzem für ziemlichen Unfug gehalten hätten. Mit Dieter Hoeneß ist das am Samstag passiert, nur 90 Minuten hat es dazu gebraucht. Danach stand der Manager, der schon auch mal über seine Mannschaft schimpfen kann, mit kalter Nase und heißem Herzen in den Katakomben des eisigen Berliner Olympiastadions und ließ seinen Gefühlen freie Bahn. „Das war Fußball zum Verlieben“, säuselte Hoeneß da.

So schwärmerisch hat man den Mann lange schon nicht mehr von seiner Hertha reden hören, es gab ja auch lange keinen Grund, in der laufenden Saison schon gleich gar nicht. Bis Samstag eben, bis Schalke kam – und mit einem 2:4 im Gepäck wieder ging. Doch das ist nur das Ergebnis – und sagt noch lange nichts aus über das Wie. Genau davon aber waren sie ja alle so angetan. „Wie wir heute die Tore rausgespielt haben …“, schwärmte Michael Hartmann, und man hörte dabei seine Zunge schnalzen. „Wenn man so spielt, läuft’s von alleine“, versuchte Bart Goor die auf dem Platz gezeigte Leichtigkeit in Worte zu fassen, dabei fröhlich missachtend, dass die Partie eher mühsam für die Berliner begonnen hatte, mit der Schalker Führung nach 59 Sekunden durch Mpenza nämlich. Thorben Marx wiederum fasste zusammen, was die knapp 40.000 auf den Rängen am Ende mit den elf auf dem Rasen gemein hatten: „Es hat uns allen sehr viel Spaß gemacht.“ Außer den Schalkern natürlich.

Womit nicht angedeutet werden soll, dass Huub Stevens tief in seinem Innern immer noch ein Königsblauer ist. Wahrscheinlich ist es nur so, dass der langjährige Coach der Schalker und jetzige Hertha-Trainer sich anders freut, heimlicher. Als 04-Manager Assauer ihm paffend die Hand zur Gratulation entgegenstreckte, kämpfte Stevens zwar kurz gegen ein Grinsen an, dann aber setzte er flugs wieder sein Knurrergesicht auf und machte sich auf die Suche nach dem Haar in all der Cremesuppe. Gefunden war das schnell – und ausgerechnet in jener Phase, in der das Spiel erstmals entschieden schien. Das 3:1 per Eigentor durch Matellan war längst gefallen (51.), Schalkes Varela mit Gelb-Rot gerade vom Platz geschlichen (61.), als sich Hertha in einen rauschähnlichen Zustand wirbelte. Chance an Chance reihten Alves, der Beste unter all den Guten im Hertha-Dress, und Kollegen da aneinander, und es war wirklich schön, ihnen dabei zuzusehen; auch Stevens wird das gefallen haben. Nur: Die Berliner versemmelten all die schönen Chancen, so manche leichtfertig, und das war wirklich traurig, weil Schalke in einem Moment Berliner Unachtsamkeit das 3:2 (68.) durch Kamphuis gelang und plötzlich wieder im Rennen war. Wie leicht hätte es da mit der neuen Liebe zu Hertha auch schon wieder vorbei sein können, zum Beispiel wenn Mpenza auch noch den Ausgleich erzielt hätte, wozu er zweimal Gelegenheit hatte. Stevens Herz machte da jedes Mal „Überschläge“, und als er davon erzählte, war deutlich herauszuhören, wie wenig er das mag. „In dieser Phase muss doch das 4:1 fallen“, sagte er.

Es ist dann ja doch noch gut gegangen, und auch Steven war nicht wirklich unzufrieden mit den Seinen, die ihre beste Saisonvorstellung darboten. „Das ist wieder ein Schritt“, lobte der Trainer, und das nicht nur in der Tabelle, wo zumindest wieder der Anschluss hergestellt ist zu den Uefa-Cup-Rängen.

Fürs Erste beruhigend dürfte auch wirken, dass die „Übergangsmannschaft“ (Berliner Zeitung) allmählich doch an Struktur gewinnt. Die Viererkette stand, wie 14 Tage zuvor gegen Dortmund, meist sicher, mit Dardai, Marcelinho und Alves verfügen die Berliner zudem über eine Achse des Kreativen. Das schimmerte zwar auch zuvor immer mal wieder durch, nur mit der Konstanz haperte es stets. Dieter Hoeneß hat also guten Grund, wenn er daran erinnert, dass es nach wie vor „keinen Anlass zur Euphorie“ gibt. Trotz aller Verliebtheit.

FRANK KETTERER