Großzügige Leere

Wenig Recherche, kaum Details, keine Zeit: Sven Amtsberg, der heute im Mojo Club aus seinem Erzählband „Das Mädchenbuch“ liest, bevorzugt kurze, schnell vergehende Spots auf die Realität

von CAROLINE MANSFELD

Große Augen, leicht geöffnete Lippen. Ein besonders nettes Mädchen lächelt uns da an vom Cover eines Rowohlt-Paperbacks, das den lieblichen Namen „Das Mädchenbuch“ trägt.

Es führt grausam in die Irre. Denn mit den Mädchen im Debüt-Erzählband des Hamburgers Sven Amtsberg ist es so eine Sache. Und noch mehr mit den Jungs. Wir beobachten einen immer neuen Ich-Erzähler bei 252 Versuchen, mit dem Leben und der Liebe zurechtzukommen. Drinnen lauern Kurzgeschichten, wie Katzenkrätze, in denen ein Mann seiner Partnerin zuliebe die eigene Katzenallergie verdrängt, bis sie ihn unter ein Sauerstoffzelt zwingt – während die Freundin draußen weiter mit der Katze spielt.

In beineabschneiden hat der Erzähler eine Freundin, die nach der Hauskatze auch ihm die Beine abschneiden will und sich dann von ihm trennt. Er landet depressiv in einer betreuten Wohngruppe. „Ich habe eine relativ blühende Phantasie, die manchmal mit mir durchgeht. Die Motive stammen aber nicht aus meinem Leben. Dann wäre ich in Therapie“, sagt der Autor auf die Frage, warum seine Geschichten immer so verstören müssen.

Amtsberg ist seit Jahren Literaturaktivist in Hamburg, betreibt einen Kleinverlag und ist Gründungsmitglied des Vereins „Macht e. V.“, der auf der Reeperbahn erfolgreiches Literaturclubbing betreibt. Heute Abend ist er sein eigener Gast und liest im Mojo Club zusammen mit dem Berliner Autor Tim Staffel, der Auszüge aus seinem neuen Roman Raufaser präsentieren wird.

Dass er ausgerechnet mit einer Geschichtensammlung den Sprung in einen renommierten Verlag geschafft hat, wundert Sven Amtsberg selbst. Zumal viele von ihnen mit ihrem kruden Humor unangenehm aufstoßen und den Leser mit fast kafkaesken Ereignissen konfrontieren. In anderen herrscht großzügige Leere. In „Ein Tag am Meer mit Shirley“ beobachtet er ein schweigsames Paar bei einem unspekakulären Badeausflug. Am Ende gehen sie ins Bett und sagen sich gute Nacht. Oft kommen die Mädchen schlecht dabei weg. Sie entziehen sich, betrügen und gehen auf einmal fort. Oder sie sind hässlich, tragen einen Dutt und werden immer dicker.

„Das ist schon alles sehr bissig und böse. Ich habe das aber ganz bewusst so angelegt und den Erzähler lieber noch bekloppter gemacht, als die Mädchen.“ Amtsberg gibt ohne Umschweife zu, dass sein Ich-Erzähler meist ein „Weichei“ ist, der das Gefühl hat, „mir stößt etwas zu“. Er trifft den Nerv der heutigen Thirtysomethings, zu denen er auch selbst zählt. Dabei wirkt der Autor durchaus abgeklärt. Vor sieben Jahren zog er nach Hamburg. Natürlich „wegen eines Mädchens“. Mit 18 Jahren schrieb er seine ersten Texte für eine Punkband. Drei Tage proben und dann raus damit. So ist auch seine Literatur, rotzig, flüchtig und ziemlich abstrus. Wenige Geschichten schildern Details. Recherchiert hat er für keine von ihnen. Dabei hat Amtsberg wenig mit den sich gerne glamourös gebärdenden Popautoren gemein; seine Sache ist es, schnell ein Thema auf zwei, drei Seiten abzuhandeln “und dann is gut“. Er schreibt diszipliniert zehn Stunden täglich. Für den Lebensunterhalt muss manchmal noch ein Barjob herhalten. Eine grandiose Inspirationsquelle, wie man in der Geschichte „Bar“ nachlesen kann. Dort kaschiert ein Paar seinen Alkoholismus durch die Umwandlung einer Bar ins Wohnzimmer. Seit einem halben Jahr schreibt Amtsberg übrigens an einem neuen Roman. Für ein früheres Romanfragment hat er 2001 den Hamburger Förderpreis für Literatur erhalten.

Machtclub mit Sven Amtsberg und Tim Staffel, heute, 21 Uhr, Mojo Club