Fusion von Glamour und Kunst

Als unruhiger, extrem flexibler Wanderer zwischen Modefotografie und Kunst war er so umstritten wie begabt: Dem amerikanischen Fotografen Edward Steichen hat das Wolsburger Kunstmuseum eine große Ausstellung gewidmet

Was Piet Mondrian für die Malerei und Le Corbusier für die Architektur, das sei Edward Steichen für die Fotografie: bahnbrechend in seiner Disziplin und extrem sensibel für Tendenzen der Moderne: Im Olymp der Kulturgeschichte verortet Markus Brüderlin, Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg, das Oeuvre des weltläufigen Fotografen. Das wohl produktivste und stilsicherste, wenngleich künstlerisch umstrittenste Konzentrat aus Steichens Schaffen – Auftragsarbeiten, die er zwischen 1923 und 1937 für die amerikanischen Magazine Vogue und Vanity Fair schuf – zeigt nun anhand von 230 originalgroßen Abzügen das Wolfsburger Museum.

Vielleicht können kaum ein Werk und eine Person exemplarischer für die Polarisierung zwischen kreativer Unabhängigkeit und kommerzieller Dienstfertigkeit in der Kunstproduktion der Moderne stehen als das Edward Steichens: Da ist einerseits das künstlerische Multitalent Steichen im besten europäisch-romantischen Sinne. Geboren 1879 in Luxemburg, aufgewachsen als Auswandererkind in Amerika, dabei immer wieder nach Europa zurückkehrend und nicht nur als künstlerischer Fotograf, sondern auch als Maler und Gartengestalter reüssierend. Bildaufbau, Lichtführung, Detailreichtum der alten europäischen Meister hat er intensiv studiert und zum Reservoir seiner fotografischen Kompositionen gemacht. Er verkehrte zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den internationalen Zirkeln der künstlerischen Avantgarde Europas und Amerikas. Er traf Auguste Rodin in Paris und holte Zeichnungen von ihm und Picasso für Ausstellungen nach New York. Aber Steichen war auch ein disziplinierter Pragmatiker. Er erfasste intuitiv zeittypische Sujets und Bildsprachen, nutzte aber auch Chancen und Effekte eines künstlerischen Mediums. Er war sich seiner begrenzten Fähigkeiten in der Malerei bewusst, er bemerkte rechtzeitig Stagnationen und vollzog deshalb mehrmals im Leben radikale Umbrüche.

Bereits als Jugendlicher sah Steichen in der neuen Fotografie ein Werkzeug, das im kommerziellen Einsatz traditionellen Darstellungsformen überlegen sein würde. Steichen überzeugte schon seinen Lehrherren in einer Lithografenanstalt in Milwaukee, statt antiquierter Holzschnitte die moderne Fotografie zu verwenden und lichtete Weizenfelder und Schweineherden für Werbekampagnen der Agrarindustrie ab. Den Schritt vom unscharfen Piktorialismus seiner Künstler- und Prominentenportraits zur Präzision modernster Technik vollzog Steichen um 1900 als Luftbildfotograf der amerikanischen Truppen im Ersten Weltkrieg.

Nach einer persönlichen Krise um 1922 gab Steichen Malerei, Wohnsitz in Frankreich und seine künstlerische Selbstbestimmtheit auf, um in die Dienste des avancierten amerikanischen Bildjournalismus des Verlegers Condé Nast zu treten. Fortan perfektionierte er dieses Genre der angewandten Fotografie. Seine unterkühlte Bildsprache und eine fast plakative Kunstlichtführung, abgeleitet aus dem Einsatz des Bildmaterials im redaktionellen Kontext und den technischen Grenzen des Drucks im Halbtonverfahren erscheinen heute geradezu prototypisch. Auch verzichtete Steichen auf angestrengt avantgardistisch-experimentelle Stilmittel, wie sie im Europa der Zwischenkriegszeit auch in der kommerziellen Fotografie genutzt wurden.

Das alles trug ihm die Ächtung der Kunstfotografen ein, doch Steicher wurde angesichts kommerzieller Zwänge extrem kreativ: Rund 2.000 Fotos aktueller Haute Couture, Bilder von Größen aus Film, Kunst, Politik, Kultur finden sich im Archiv Condé Nast: Steichen gilt als Erfinder des Glamourösen. Er zog die Welt der ‚Fashion‘ und ‚Celebrity Culture‘ in die Sphäre der Kunst hinein und legitimierte im Gegenzug das Spektakuläre in der Kunst. Sein Glamour speist sich aus charismatischen Persönlichkeiten aus Fleisch und Blut, die ein distanzloses Vertrauen in die Glaubwürdigkeit seines (und des frühen) Bildjournalismus ausstrahlen.

BETTINA MARIA BROSOWSKY

Die Ausstellung ist bis 4. 1. 2009 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.