Lebenslänglich nach Indizien

Die Studentin Christine S. aus Hannover ist in dem Kindsmordprozess in Schweden zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Dabei bleiben Zweifel an ihrer Schuldfähigkeit

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Das Schöffengericht im schwedischen Västerås hat die Studentin Christine S. aus Hannover zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Bereits Ende August hatte das Gericht die Angeklagte des Mordes für schuldig befunden. S. habe am 17. März in der Kleinstadt Arboga den drei Jahren alten Max und dessen einjährige Schwester Saga mit einem spitzen Hammer erschlagen. Die Mutter, die neue Lebensgefährtin des Exfreundes von Christine S., wurde dabei schwer verletzt und war zehn Tage ohne Bewusstsein.

Offen war nur gewesen, ob die 32-jährige Christine S. zu einer lebenslangen Haftstrafe oder zur Einweisung in eine psychiatrische Klinik verurteilt werden sollte. Das Gericht sah eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, dass S. unter einer schweren psychischen Störung gelitten haben könnte. Sie habe ein „selbstdestruktives“ Verhalten an den Tag gelegt, Antidepressiva geschluckt und Kontakt zu psychiatrischen Einrichtungen gesucht. Die Studentin hatte ihren schwedischen Ex-Freund im Urlaub auf Kreta kennengelernt und war seinetwegen nach Schweden gezogen. Nachdem der Mann die Beziehung beendet hatte, hatte sie mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen.

Eine rechtspsychiatrische Untersuchung war durch die Studentin aktiv sabotiert worden. Die Untersuchung kam zu dem Ergebnis, dass für den Tatzeitpunkt nicht von einer so schweren psychischen Erkrankung ausgegangen werden könne. Nach schwedischem Recht hätte dies die Behandlung in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt bedeutet.

Im gerichtlichen Gutachten wurde S. mit den Worten zitiert, sie wolle mit diesem Verhalten „aus prinzipiellen Gründen gegen das Gericht in Västerås protestieren, ein Gericht, das von Anfang des Prozesses an parteiisch war“. Für den schwedischen Rechtspsychiatrie-Professor Sten Levander ist diese Haltung bereits ein Beleg für eine psychische Erkrankung. Darin komme der „grandiose Narzissmus einer Person mit Wahnvorstellungssyndrom“ zum Ausdruck, sagt Levander, der an dem Verfahren nicht beteiligt war.

S.’ Verteidiger hatten bereits unmittelbar nach dem grundsätzlichen Schuldspruch angekündigt, auf jeden Fall in Berufung gehen zu wollen. Das ist nicht verwunderlich, beruht der Schuldspruch doch allein auf Indizien, die das Gericht freilich als „vollständig überzeugend“ eingestuft hat. Einen technischen Beweis dafür, dass S. tatsächlich am Tatort war, konnte die Staatsanwaltschaft allerdings nicht präsentieren, ebenso wenig die Tatwaffe.

Allerdings hatte sich die Angeklagte in Widersprüche verwickelt, was ihren Aufenthalt in Arboga angeht. Mehrfach wurde sie der Unwahrheit überführt. Aus ihrer Eifersucht auf das „neue Glück“ ihres Ex-Freundes hatte sie in Tagebucheintragungen kein Hehl gemacht, sie hatte also ein Motiv. Umgekehrt hatten alle anderen Personen aus der Umgebung der Opfer hieb- und stichfeste Alibis, so dass außer S. nur noch der „große Unbekannte“ als Täter in Frage kam.

Dass S. an der Unparteilichkeit des Gerichts zweifelt, ist aus ihrer Sicht verständlich. Eine Schöffin hatte in den Medien schon vor dem Urteil offen erklärt, von der Schuld S.’ überzeugt zu sein – eigentlich ein Verstoß gegen das Strafprozessrecht, der zu einem Wechsel auf der RichterInnenbank, womöglich sogar zu einer Wiederholung des gesamten erstinstanzlichen Prozesses hätte führen müssen.

Das Gericht, das über die Frage der Schöffen-Befangenheit entschied, ließ sich jedoch weniger vom Prinzip der Rechtssicherheit als von der Rücksicht auf die Angehörigen der Opfer leiten. Da sowieso feststand, dass das Urteil angefochten werden würde, wollte man den Angehörigen die psychische Belastung einer Wiederholung des gesamten mehrwöchigen Prozesses ersparen.

Zusätzlich zu ihrer Haftstrafe wies das Schöffengericht in Västerås Christine S. auf unbefristete Zeit aus Schweden aus und verurteilte sie zu einer Schadensersatzzahlung von rund 50.000 Euro an die Mutter der ermordeten Kinder. Das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht („Svea Hovrätt“) dürfte noch dieses Jahr beginnen. Christine S. sitzt bis dahin in einer Stockholmer Haftanstalt.