Dissident als Terrorist verurteilt

In China hat ein Gericht erstmals einen Dissidenten wegen Terrorismus zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Angeblich soll Wang Bingzhang auch für Taiwan spioniert haben, doch die Umstände seiner Verhaftung sind mysteriös

von SVEN HANSEN

In Chinas Sonderwirtschaftszone Shenzhen bei Hongkong hat ein Gericht im Januar den normalerweise im US-Exil lebenden Dissidenten Wang Bingzhang zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Dies meldete erst gestern die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua in Peking. Der 55-Jährige sei wegen „Spionage und der Organisierung und Anführung einer terroristischen Gruppe“ verurteilt worden.

Wang sei schuldig, seit 1982 für Taiwan spioniert, seit 1996 Terrorismus-fördernde Artikel veröffentlicht und seit 1998 selbst terroristische Aktivitäten geplant zu haben. Xinhua nennt Pläne für Attentate am Nationalfeiertag 1999, für die Sprengung von Brücken und Straßen sowie für Anschläge auf Chinas Botschaft in Thailand 2001. Es ist das erste Mal, dass ein chinesisches Gericht einen Dissidenten wegen „Terrorismus“ verurteilte. Erst im Dezember hatten Chinas Behörden überhaupt eingeräumt, dass Wang sich in ihrem Gewahrsam befindet. Er war im vergangenen Juni mit zwei Gesinnungsgenossen in Vietnam verschwunden. Ursprünglich hatten sie sich dort im Grenzgebiet zu China mit chinesischen Gewerkschaftsaktivisten treffen wollen, wie Freunde Wangs in den USA berichteten.

Im Dezember meldeten Chinas Behörden dann erstmals, sie hätten das Trio bereits im Juli in Südchina aus den Händen von Kidnappern befreit, die die drei in Vietnam entführt hätten. Von Wangs zwei Begleitern, die im Unterschied zu ihm die US-Staatsbürgerschaft und nicht nur eine Greencard haben, wurde einer freigelassen. Der andere hat noch ein Gerichtsverfahren zu erwarten. Warum die Behörden den Fall so lange verschwiegen und auch die US-Botschaft im Dunkeln ließen, blieb unklar und nährt Zweifel an der offiziellen Version.

Die in den USA ansässige Dissidentenorganisation Free China Movement behauptet, die drei Aktivisten seien von Pekings Staatssicherheit nach China verschleppt worden. Wang Xizhe, Vizepräsident der Organisation, wirft Chinas Regierung deshalb „Staatsterrorismus“ vor.

Wie die drei nach China kamen, bleibt unklar, wobei nicht auszuschließen ist, dass sie illegal einreisten. Wang war bereits 1998 vom damals noch portugiesischen Macau aus mit einem gefälschten Pass nach China gereist. Damals wurde er sofort abgeschoben. Dissidenten warfen ihm vor, mit seiner Aktion nur Publizität gesucht zu haben.

Wang ist ein Veteran der Dissidentenszene und dabei wohl weder der „chinesische Mandela“, wie Free China Movement behauptet, noch der „Terrorist“, zu dem ihn das Gericht jetzt erklärte. Wang gehörte zu den ersten Chinesen, die nach der Öffnung Ende der 70er-Jahre zum Studium nach Amerika durften. In New York gründete er 1983 die Chinesische Allianz für Demokratie, die allerdings schon bald unter den Machtkämpfen ihrer Führer litt. Wang, der zu den radikaleren Dissidenten zählt, wurde dabei vorgeworfen, Gelder veruntreut zu haben. Noch heute genießt er deshalb in Dissidentenkreisen einen zweifelhaften Ruf.

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