Die Rettung der Braut

Die deutsch-türkische Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek hat eine Reise quer durch die Türkei angetreten. Herausgekommen ist ein Bericht, der die Widersprüche und Brüche eines Landes zwischen Tradition und Moderne aufdecken will

Es hätte ein interessantes Buch werden können. Die deutsch-türkische Autorin Necla Kelek erkundet nach jahrelanger Abwesenheit ihr Herkunftsland, staunt über die enormen Veränderungen, lässt sich vom Alltag erzählen und nimmt ihre Leser mit auf eine Spurensuche der eigenen Vergangenheit.

Interessant ist das Buch „Bittersüße Heimat“ immer dann, wenn Necla Kelek sich auf ihre eigene Geschichte einlässt, autobiografische Splitter aus ihrer Kindheit einstreut, über den Alltag in den 50er- und 60er-Jahren erzählt. Dann ahnt man, was das Buch auch hätte werden können. Doch Necla Kelek geht lieber die sicheren Pfade, statt sich auf eine kritische Reflexion ihrer eigenen Geschichte einzulassen. Sie tut, was jede Delegation tut, die sich über die Türkei informieren will: Sie besucht Frauenorganisationen in den kurdischen Gebieten im Osten, sie trifft eingeschüchterte Vertreter christlicher Gemeinden und rettet sogar eine deutsch-türkische Braut, die gegen ihren Willen in die Türkei expediert worden war.

Sie informiert uns über Ehrenmorde und tut so, als würde sie einen Skandal aufdecken, der bislang nicht wahrgenommen wurde. Sie redet über das Kurdenproblem, ohne auch nur zu erwähnen, wie der Stand der Debatte im Land selbst ist.

Am auffallendsten unterscheidet Necla Kelek sich jedoch von anderen deutschen Autoren, die ebenfalls in diesem Herbst Bücher über die Türkei vorgelegt haben, in ihrer Einschätzung der regierenden, islamisch grundierten AKP. Während beispielsweise der FAZ-Korrespondent Rainer Hermann die AKP als erfolgreiche Bürgerbewegung gegen den autoritären kemalistischen Staat feiert, hält sie die AKP schlicht für einen Islamistenverein, der dabei ist, in der Türkei wieder eine islamische Leitkultur durchzusetzen. In dieser Debatte, die die türkische Innenpolitik seit Jahren dominiert, ist sie sicher sensibler für die Ängste und Befürchtungen vieler Frauen als andere ausländische Beobachter. Während die meisten politischen Beobachter sich darüber aufregten, dass bei der Wahl des Staatspräsidenten Abdullah Gül die Tatsache, dass seine Frau ein Kopftuch trägt eine große Rolle spielte, hat Kelek durchaus Verständnis für diese Debatte.

Den Kampf der AKP für das Kopftuch hält sie nicht für einen Freiheitskampf des Individuums gegen den Staat, als den die AKP ihn verkauft, sondern für die verschärfte öffentliche Legitimierung des Patriarchats. Doch auch in dieser Frage zeigt sich, von wie weit außen Kelek auf die Türkei schaut. Die eigentlich spannende Debatte in liberalen und linken Kreisen, über Alternativen jenseits der AKP und den rückwärtsgewandten staatsautoritären Kemalisten, findet bei ihr nicht statt. Die durchaus berechtigte Kritik an der Politik der AKP ist für sie vielmehr nur die Plattform, von der aus sie die europäische Überlegenheit gegenüber der islamisch gesteuerten Türkei feiern kann und dementsprechend zu dem Ergebnis kommt: Die Türkei hat heute und wohl auch in der Zukunft keinen Platz in Europa. Was diesen Teil des Buchs so unangenehm macht, ist das Pathos der Konvertitin, die sich aus der rückständigen türkischen Kultur in die lichten Sphären des aufgeklärten Europa gerettet hat. Ihr „Zum Glück bin ich Deutsche“ lässt sie penetrant heraushängen. Man kann kaum glauben, dass das nur aus naiver Überzeugung geschieht. Es dürfte jedenfalls nicht ganz unbeabsichtigt sein, dass der kommerzielle Erfolg auch dadurch gesteigert wird, dass man dem deutschen Michel eben sagt, was dieser gern hört.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

Necla Kelek: „Bittersüße Heimat – Bericht aus dem Inneren der Türkei“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 176 Seiten, 16,95 €