Eine Miss Marple aus Istanbul

In ihrem dritten Kati-Hirschel-Roman lässt Esmahan Aykol einen Todesfall in der Istanbuler High Society ermitteln. „Scheidung auf Türkisch“ führt in den Alltag der städtischen Gesellschaft sowie in die Niederungen eines umweltfeindlichen Kapitalismus auf dem Lande

„Ein Abenteuerroman könnte kaum anders geschrieben werden als als Kriminalroman: Abenteuer in unserer Gesellschaft sind kriminell.“ Bertolt Brecht

VON ANDREAS FANIZADEH

Eine Reihe von türkischen Kriminalschriftstellern ist mittlerweile ins Deutsche übersetzt. Viele davon wie Celil Oker oder Ahmed Ümit sind im Zürcher Unions-Verlag erschienen. Auch Esmahan Aykols dritter Roman, „Scheidung auf Türkisch“, ist bei Diogenes, einem Schweizer Verlag, herausgekommen. Aykol gehört zu den wenigen türkischen Schriftstellerinnen, die sich in ein männerdominiertes Gewerbe vorgewagt haben.

Als Hauptfigur hat sie mit Kati Hirschel eine in Istanbul lebende Deutsche geschaffen. Hirschel betreibt dort eine Kriminalbuchhandlung und hat in Fofo einen schwulen aus Spanien zugewanderten Gehilfen. Als eine Art jüngere Miss Marple schaltet sich Hirschel in Dinge ein, die sie an und für sich nichts angehen. In „Scheidung auf Türkisch“ lässt Aykol jetzt ihre Privatermittlerin den Tod der attraktiven Industriellengattin Sani untersuchen. Diese wurde leblos in ihrer Wohnung aufgefunden. Mord oder Unfall?

Die Hinweise hierzu sind uneindeutig, genauso wie der Hintergrund der Tat. Sani war mit dem schwerreichen Cem aus dem Ankaraligil-Clan verheiratet. Trennungsgerüchte machten die Runde. Zudem engagierte sich Sani gegen Umweltverbrechen, in die auch der Clan ihres Mannes verwickelt sein könnte.

Ihr Tod ist medial aufgeladen, eine Angelegenheit des Boulevards und damit ist auch Hirschels Neugierde schnell geweckt. Die Buchhändlerin, so Aykols lapidare Konstruktion, kannte die Tote vom Sehen, durch das zufällige Speisen im gleichen Restaurant. Eine zu Beginn des Romans vielleicht etwas arg einfach über Teetassen und Grillrost strapazierte literarische Motivation. Doch anderes gelingt Aykol besser, klingt glaubwürdiger, weswegen die Lektüre von „Scheidung auf Türkisch“ insgesamt lohnt.

Immer wieder zeigt sich dabei, dass die Perspektive von Aykols Privatermittlerin, der deutschen und in Istanbul verwurzelten Kati Hirschel, reizvoll ist. Hirschel pflegt ein widersprüchliches Verhältnis zu Hauptkommissar Batuhan, dem Leiter der Mordkommission. Für eine dauerhafte Liebesbeziehung scheinen der beiden Lebenswelten zuweit auseinander, für gegenseitige Hilfestellungen bei den Ermittlungen reicht es jedoch. Batuhan ist die polizeiliche Autorität, der literarische Vertreter des Realitätsprinzips in Aykols Romanen. Die Zeit für eine rein türkische Ermittlerin scheint hingegen noch nicht reif.

Vorerst bleibt es also bei Kati Hirschel, der Exilantin in zweiter Generation, der es erlaubt ist, die männliche Ermittlungsarbeit zu erweitern. Die Recherche im Todesfall Sanis führt Hirschel und ihren Assistenten Fofo zu YeTer, einer Umweltschutzgruppe. Für YeTer war die verstorbene Sani in führender Stellung tätig gewesen. Das Büro aufgebrochen, die Computer der NGO geklaut. Die Vermutung liegt nahe, Einbruch und Sanis Tod könnten zusammenhängen, mit den Umweltverschmutzungen im Ergene-Becken zu tun haben.

YeTer, das ist die literarische Erfindung und Abkürzung für Grüne Türkei. Mit Hirschel lässt Aykol ihre Leser eine Reise in die Provinz unternehmen, in Regionen, in denen keine EU-Umweltstandards greifen und Provinzfürsten der AKP zusammen mit rücksichtslosen Unternehmern die Umgebung wegen schneller Profite vergiften.

Aykol, die selber aus Edirne stammt und in Berlin und Istanbul lebt, kommt damit auf die Kehrseiten des türkischen Wirtschaftswachstums der letzten Jahre zu sprechen. Ihr Buch ist ein Indiz für das wachsende ökologische Bewusstsein in Ländern wie der Türkei, auch wenn Umweltfragen dort noch weithin als Luxusproblem wahrgenommen werden. Entsprechend besteht die Roman-NGO YeTer aus wenigen Oberschichtsfrauen, nebst Sekretärin.

Aykol ruft das Bild der touristischen Türkei ab, wenn sie die zwei Städter Hirschel und Fofo auf die Überlandstraße nach Norden, Richtung Thrakien und Ergine-Becken, schickt. Er war noch nie in Izmir, und sie kennt Pamukkale nur von Postkarten. Doch dann halten die beiden am Ergene-Fluss. „Wir stiegen aus. Ein unbeschreiblicher Geruch lag in der Luft. Stellen Sie sich vor, tausende verfaulter Eier und Tierkadaver liegen monatelang in der Sonne.“ Aykol lässt ihre Romanfiguren im europäischen Teil der Türkei auf eine durch das illegale Fabriksystem komplett verseuchte Umwelt treffen. „Ich habe mal Rüben angebaut und die bewässert. Und davon hat sich das Land fünf, sechs Jahre lang nicht erholt“, erfährt Hirschel im Gespräch mit den Bauern. „Die Industriellen kaufen dem Gouverneur einen Mercedes, und die Sache ist gegessen.“

Korruption und Umweltverbrechen scheinen den Verdacht Hirschels zu bestätigen, dass der Tod der schönen Sani im fernen Istanbul etwas mit dem Gestank in der Provinz zu tun haben könnte. Die Ermordete stammt aus der Region und hatte die Bauern zum Widerstand ermutigt. Doch am Ende wird die Geschichte in Aykols Roman einen anderen Verlauf nehmen.

Es sind nicht zuletzt die tagespolitischen Einsprengsel, die Beschreibungen aktueller Minderheiten- oder Umweltkonflikte, die neben der weiblichen Perspektive den Reiz dieses Krimis ausmachen. Ansonsten scheint das Leben der türkischen Mittel- und Oberschicht laut Aykol aus ähnlichen Problemchen zu bestehen wie das der Leute in westeuropäischen Städten: Wer hat welche sexuelle Orientierung, geht mit wem ins Bett, Tasche, Kleidung, Haardesign?

Aykols Handlung trabt im Plauderton vor sich hin und kommentiert die Alltagsgewohnheiten der Istanbuler. Auch am Bosporus gibt es offensichtlich ein neues Biedermeier wie in vielen westeuropäischen Städten. Doch Aykols literarische Haltung scheint insgesamt eine Spur zu konventionell, auch wenn man berücksichtigt, dass es sich um Kriminal- und Unterhaltungsliteratur handelt. Vielleicht verlässt sich die Autorin zu sehr auf die Themenwahl (politische Kriminalität, Ökologie) und die „richtige“ repräsentative Besetzung ihres Personals: Schwule, Frauen, Subkulturelle, Separatisten in einer konservativen Umgebung. Doch von einer Ästhetik und Gebrochenheit, wie sie etwa Fatih Akin in der Filmsprache gelingt, ist Aykols literarische Darstellungskraft noch ein ganzes Stück entfernt.

Etwas mehr Härte, Schmutz, Zuspitzung, Surrealismus und Widersprüchlichkeit täte ihrer Prosa gut.

Esmahan Aykol: „Scheidung auf Türkisch“. Aus dem Türkischen von Antje Bauer. Diogenes, Zürich 2008, 324 Seiten, 19,90 €