Schönheit im geheimen Deutschland

Die Medienwerkstatt beendet ihre Workshop-Reihe „Staymobil“ mit einem wilden Vortrags-Präsentations-Ausstellungs-Mix

Harte Zeiten für Telefonzellen. Langsam aber sicher verlieren sie ihr gesundes Gelb, verfärben sich chrom-grau und verschwinden dann ganz. Zeitgleich wachsen weiße Antennen aus Häuserdächern und Wirtschaftssenator Josef Hattig (CDU) macht Bremen zur „UMTS Modellstadt“. Mobilfunk und Neue Medien sollen sich an der Weser wohl fühlen, sollen die Stadt und das Leben in ihr verändern.

Seit letzten Oktober untersucht die Medienwerkstatt des Schlachthof in der Workshop-Reihe „Staymobil – Bausteine für digitale Fitness“, wie diese Veränderung in Bremen und anderswo aussieht und was sich mit Neuen Medien künstlerisch anstellen lässt. In dieser Woche wird die Reihe im Schlachthof abgeschlossen mit Projektpräsentationen, Vorträgen, einer Ausstellung und einem Kurzfilmabend: „Workout“ heißt der wilde Veranstaltungsmix – nicht nur Josef Hattig findet Neue Medien jung, reich und sexy.

Trainiert wird heute Abend ab 20 Uhr unter der Überschrift „Die Stadt im Datenstrom“: Der Bremer Kulturwissenschaftler Jörg Richard referiert die veränderten „Wirklichkeitserfahrungen“ des Städters zwischen medialer Simulation und Realität, Gregor Langenbrinck vom Bauhaus-Kolleg spricht über das Verhältnis von Stadtplanung und Stadtmarketing und fragt nach „Möglichkeiten, dem reinen Rendite-Denken soziale Komponenten entgegenzusetzen“. Ganz im Virtuellen bleibt danach die Präsentation des Internetprojekts „Stadtwirklichkeit“ der Kölner Sascha Kempe und Michael Wolf: Unter www.formlust.com ist eine Wunschstadt entstanden, ständig veränderbar und ausgezeichnet mit dem Hochschulpreis „Digital Sparks“.

Was am Donnerstag ab 20 Uhr „Unter der Oberfläche“ passiert – man weiß es nicht so recht. Sieben Berliner Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen loten das Spielerische Neuer Medien aus: Bei der Fitness-Performance SMS.SOS wird das Handy via Vibrationsalarm zum Massagestab, interaktiv gesteuert durch das Publikum. Anschließend wird Olaf Arndt mit aufklärerischem Gestus und künstlerisch durchtränkter Methode einen abgedrehten Bogen zwischen Mensch und Maschine schlagen.

Zum Programmpunkt „Die Heimsuchung des blinden Flecks“ von Joulia Strauss heißt es: Die „Künstlerin lebt und arbeitet für die Schönheit im geheimen Deutschland“. Peter Berz indes „wäre in seinem Vorleben gerne Insektenforscher gewesen“. Sein Thema an diesem Abend: Schein-Räume, die aus der Experimentalpsychologie in die Kunst wandern.

Sehr solide dagegen: Die Mini-Ausstellung im Schlachthof-Foyer. Judith Dürolfs „Virtual Stills“ und die „Relikte“ von Susanna Mohr und Frank Scheffka setzen auf mediale Resteverwertung, Rainer Webers „Unfall Nr. 14“ schiebt Wirklichkeitsebenen ineinander. Drei Gimmicks für den „Workout“ – vergleichbar dem Fernseher über dem Fitnessstudio-Hometrainer.

Das Training schließt mit dem internationalen Kurzfilm-Programm „Stadt/Raum/Ort“ am Freitagabend um 20 Uhr, davor allerdings gibt es noch einen letzten Workshop: Ulf Treger informiert im Internet-Seminar „Web-o-tactics“ über Mailinglisten, kollaborative Anwendungen und die Manipulation von Suchmaschinen. Anmeldung nur von der Telefonzelle aus unter ☎ 0421 - 37 77 50.

Klaus Irler