strafplanet erde: einsame flaschengeister von DIETRICH ZUR NEDDEN
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„Everybody’s at war these days / Let’s have a mini-surrender / I need some sentimental hygiene“, sang Warren Zevon vor längerer Zeit. Versuchen wir es mit einem sentimentalen Kurztrip.

Auch die Dinge sind manchmal einsam, lautete das alarmierende Fazit einer Fahrradfahrt durch den frostigen Wind heute: Im Drahtkorb vorne dran veitstanzte ein ausgekratzter, jahreszeitlich gesehen deplazierter Eisbecher (Kopfsteinpflaster!); später taumelte eine zerrissene Plastiktüte orientierungslos auf dem Gehsteig; vor den Containern für Grünweißundbraunglas stand unentschlossen eine nachtblaue Flasche; in der Durchfahrt zum Hof die Scherben eines Porzellantellers, der seine Vergänglichkeit auch lieber in Gesellschaft mit seinesgleichen bei einem Polterabend demonstriert hätte.

Anschließend wieder dieses dumme Gefühl: Eine blaue Flasche vor einem Container hat schon früher jemand beschrieben. Darf man, weil es ein anderer Autor bereits notiert hat, deshalb dieses Bild, das man jetzt mit eigenen Augen sieht, nicht mehr benutzen? Sieht man es nur, weil irgendeine Synapse im Hirn sich dran erinnert? Jene Flasche war sicherlich nicht diese, sondern stand an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, wenngleich in derselben Galaxie. Wahrscheinlich stehen tausende von Blauglasflaschen jeden Tag, den die Flaschengeister werden lassen, vor Containern. Die einen ratlos, die anderen unentschlossen, und einer dritten Blauglas-Fraktion ist es aber auch so was von scheißegal. Was tun? Zur Beantwortung dieses Schicksalsfragenkomplexes schalten wir zurück zu „Politik aktuell“.

Die Verfasser, die für die britische Regierung das jüngste Irakdossier zusammenklitschten, würden auf solche Fragen mit Unverständnis reagieren. Zehn von neunzehn Seiten waren „nahezu identisch“ mit bzw. stammten „fast wörtlich“ aus frei zugänglichen Quellen resp. Internetseiten, einiges war über zehn Jahre alt. Das Download-Syndrom hatte die Plagiatoren voll erwischt. Aber mal die Finger von der Tastatur und die Hand aufs Herz: Werden wir nicht alle ab und an in Versuchung geführt, Flüchtigkeitsfehler wie diese Blindlinks zu begehen? Vielleicht in minder bedeutsamen Angelegenheiten, aber: Wenn man anderweitig keine Quellen hat? Und die hat der Geheimdienst Ihrer Majestät allem Anschein nach nicht. Was übrigens noch eine Spur interessanter ist: dass schätzungsweise die Hälfte der Journalisten, die über das amateurhafte Abkupfern berichteten, nicht nachgeprüft haben dürfte, ob der Fehlernachweis und die Angaben stimmen.

„Habe eine neue Geschäftsidee“, schrieb vorgestern eine Freundin, deren Arbeitsplatz bald wegrationalisiert wird. „Wie wäre es, wenn man uns dafür bezahlen würde, dass wir nichts mehr ernst nehmen?“ Bei ihr wären das die Themenkreise „Jobs, Politik und – ich muss es leider sagen – Männer. Bezieht sich auf die Gattung und nicht das Einzelschicksal.“ Vielleicht meinte Warren Zevon Ähnliches oder genau das Gegenteil, wenn er singt: „Ought to hang my picture / In the All-Time Losers’ / Hall of Fame.“