Deutschland sucht den Supertitel

Wie heißt das verdammte Stück, das sich seit Tagen durch das innere Ohr dreht?

Das geht einem ja oft in der Art: Man geht einer stupiden Tätigkeit nach, auf der Antikriegsdemo, presslufthämmert die Bundesstraße 23 auf, dreht als Stricher seine Runden oder sonstwas, Sachen, wo man den aktiven Kopf nicht benötigt. Auf einmal spiralt eine Melodie durch denselben, immer wieder, und man kommt und kommt nicht drauf, woher man die Notenkombination kennt. Nicht ums Verrecken.

Man probiert die alte Methode: an die Stelle gehen, wo einem das Dingens zuallererst eingefallen ist. Lauschen. Überlegen. Grübeln. Nichts. Versuch abbrechen. Nächste Taktik: einfach nicht mehr dran denken. Nach einer halben Stunde geht das wieder los. Zwei erfolgreiche Abwehrversuche. Dann kommt die Immunschwäche durch. Notvariante: an einen anderen Song denken und demonstrativ laut pfeifen. Nützt auch nichts.

Der Tag ist vergiftet. Akustische Signale der Mitmenschen dringen kaum noch ans Ohr, während man fieberhaft die Plattensammlung zerkramt. Nichts. Nicht mal optische Signale helfen weiter. Widerstand aufgeben und versuchen, Anschlussstücke zur fraglichen Line zu rekonstruieren. Das Davor und Danach. Ab und an mal ein flüchtiger Flash, der die Schädelwindungen aufhellt, aber zu kurz, um identifiziert zu werden. Mist. Mist. Mist.

Gegen Abend verschwimmen erste Teile der aufdringlichen Töne. Soooo aber nicht, meine Herrschaften Plagegeister. Hier geht es ums Prinzip. Noch einmal genauestens nachdenken. Die Melodie in Erinnerung rufen. Und zwar laut: Duuuduuhu. Dududududududududuu. Duduuuuuuuuuududududududududuudu. Am Ende ist alles Einbildung, und man hat selber was komponiert. Quatsch. Was isses nu? So was singt keiner, kann keiner singen. Vielleicht eine Instrumentalpassage? Keyboards? Gitarre? Erste beruhigende Formeln. Wird man blöde? Ist man’s schon?

Überm Sinnieren schläft man ein. Aber nicht wirklich erholsam. Vom Unterbewusstsein wird weiter gefahndet. Und sicher wird es auch fündig. Nur verrät einem das keiner am Morgen. Same procedure. Zwei, drei Tage noch, bis der Hall laaangsaaam nachlässt, das Vergessen einen wohlig einlullt. Sachte.

Eine Woche später: Ein Freund weilt zu Besuch und bestellt sich was aus den Achtzigern: „Mach mal Saga“. Gut: „Silent Knight“ von 1980. Und ratsch! Da im Soloteil, das ist doch diese Melodielinie, die einem rigoros den Kopf kurzgeschlossen hatte. „Compromise“, von Minute 2.04 bis 2.18. Puuuh. Entspanntes Dasitzen und inneres Schulterklopfen. Ist ja noch mal gut gegangen. Erleichterung. Gerade weil man sich dieser Zeit und ihrer Vorliebe für verhängnisvolle Frisuren und Hosen ohne Schaden entronnen glaubt. Au Backe!

„Compromise“ selber ist kein Supertitel, aber das kann sich der Heimgesuchte nicht aussuchen. Es hat einen angeflogen. Wie war gleich der Name? Selbst eben, zum Zeitpunkt der Niederschrift, isses schon wieder weg. Einfach weg. Fahriges Gewühle zwischen staubigen Plattencovern, wo ist der Saga-Sampler für alle Fälle? Saga waren’s doch, oder? Ruhig bleiben. Immerhin hat man schon mal die Band. Aber, zur Hölle, welcher Titel?

MICHAEL RUDOLF