Blick ins wahre Leben

Die GTZ vermittelt Studierenden Kontakte in Länder der „Dritten Welt“ – für kleine, originelle Forschungsarbeiten

BERLIN taz ■ Friederike Stahlmann ist eher ein ruhiger Typ. Wenn sie über Afghanistan redet, beginnen ihre Augen zu leuchten. Sie erzählt von den Ältestenräten, die Streitigkeiten schlichten, von dem „demokratischen Erfahrungshintergrund“ der Menschen und von ihrer Magisterarbeit, die sie „am liebsten von den Leuten dort kriegen würde, statt mir hier ein Thema aus den Fingern zu saugen“.

Im Sommer wird Friederike Stahlmann tatsächlich in Afghanistan sein. Die Studentin hat die Reise gewonnen – bei einem ungewöhnlichen Projekt.

Urheberin ist die Berliner Politologin Regine Schönenberg. Die Gutachterin der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) hat mit ihrer staatlichen Entwicklungshilfeorganisation die Initiative „Zwischen Hörsaal und Projekt“ gestartet. Sie soll Studenten motivieren – zu originellen Seminararbeiten. Weg von Lehrbuchthesen, hin zu eigenen Forschungsprojekten direkt vor Ort. Schönenberg verbessert so den Austausch zwischen Studierenden und Praktikern der internationalen Zusammenarbeit. Der frühe Blick von Studierenden ins wahre Leben sei nämlich Mangelware, findet Schönenberg: „Die meisten müssen sich erst im Examen oder bei der Promotion mit praktischen Problemen auseinander setzen.“ Und: Hausarbeiten, oft monatelang recherchiert, sollten nicht ungelesen in Ikea-Regalen verstauben.

Sommeruni in Vietnam

Ein erster Durchlauf von „Zwischen Hörsaal und Projekt“ begann im Wintersemester 2001, gerade hat der zweite geendet. Das Projekt soll noch ausgebaut werden: Eine Sommeruniversität in Vietnam ist geplant. Als Anreiz für die Studenten sind Preise für die besten Präsentationen ausgelobt: drei Praktika im Land der Wahl. Flug und landesübliches Salär sponsert die GTZ.

Das Konzept ist so einfach wie effektiv: Die GTZ-Mitarbeiterin sprach 30 Dozenten in den Entwicklungshilfehochburgen, den Universitäten Berlins und Rostocks, an, die Seminare in völlig verschiedenen Disziplinen leiten – Politik, Psychologie oder Iranistik. Berührte ein Referatsthema das Nord-Süd-Thema, setzte die Kooperation ein. Die Studenten bekamen Kontakt zu GTZ-Mitarbeitern in Afghanistan oder Namibia. Sie konnten sie telefonisch ausfragen oder sich per E-Mail interne Forschungsberichte zuschicken lassen. So wurden zum Beispiel die Ängste namibischer Frauen Thema.

Studentin Stahlmann und elf andere Kandidaten haben ihre Projekte vorgestellt. Sie redeten über Luftverschmutzung in Santiago, E-Government in Hongkong und vergifteten Boden in Metropolen wie Mexiko-Stadt. Stahlmann hat untersucht, mit welcher Strategie der Wiederaufbau in Afghanistan am besten vorangetrieben werden kann. „Zivilgesellschaftliche Akteure“ müssten „emanzipiert“ werden, steht auf ihrem Plakat, auf das sie Fotos von afghanischen Kindern geklebt hat. Unwissenschaftlich ausgedrückt: Viele Afghanen, etwa Mitglieder der Ältestenräte, wissen sehr wohl, wie Demokratie funktioniert. Man muss sie nur finden und fördern.

Publizistikstudentin Ursula Rubenbauer, ebenfalls eine Preisträgerin, hat sich mit Aidsprävention in Namibia beschäftigt. Ein Thema, das dort trotz hoher Infektionsraten nach dem Motto „Mich betrifft es ja nicht“ abgehandelt wird. Ihr Lösungsansatz nutzt die Landestradition. Das althergebrachte Palaver, ein Gespräch ohne Hierarchien, sollte von Organisationen wie der GTZ gefördert werden – etwa durch eigene Räume.

Rubenbauer allerdings stieß an die Grenzen „Zwischen Hörsaal und Projekt“. Ihren Ergebnisbericht hat sie an die GTZ-Frau in Namibia gemailt – auf die versprochene Antwort wartet sie noch. Und auch die Politologin Schönenberg schaut ganz überrascht: „Ich überlege mir, wie wir die praktischen Konsequenzen, die Studenten einfordern, systematisch einbauen können.“ Für die Ideen der Studenten gilt also auch hier: Ab damit ins Ikea-Regal. ULRICH SCHULTE