Frankreich ist Ärger gewöhnt

Die Reaktion auf die Dreier-Initiative kam prompt: Bush und Blair sind „enttäuscht“. Doch Reibungen mit Washington sind für Paris nichts Neues

aus Paris DOROTHEA HAHN

Eine „Achse“ ist das, was sich in Paris vor, während und nach dem Gala-Diner im Élysée-Palast zwischen Wladimir Putin und Jacques Chirac angebahnt hat, (noch) nicht. Aber ein diplomatisches Großereignis. Und ein derart heftiger europäischer Gegenwind gegen die US-Kriegsvorbereitungen, wie er noch vor wenigen Tagen nicht denkbar war. Die gemeinsame Initiative, die Paris, Berlin und Moskau gestern im Weltsicherheitsrat eingereicht haben, sieht vor, die Mission der UN-Inspektoren über dieses Wochenende hinaus zu verlängern und personell und materiell zu stärken. „Es gibt noch eine Alternative zum Krieg. Da sind wir sicher“, sagte Chirac.

„Spassibo“ statt „merci“

Washington und London reagierten prompt, verärgert und in der Wortwahl identisch. Wie zuvor schon George W. Bush teilte gestern auch Tony Blair mit, er sei „enttäuscht“. Außenminister Jack Straw fügte hinzu, selbst tausende Inspektoren könnten keine Abrüstung des Irak erreichen, wenn das Regime in Bagdad nicht kooperiere. Als Verantwortlichen für die Initiative macht Washington zu Recht Paris aus. Frankreichs Außenminister hatte schon am 5. Februar im Weltsicherheitsrat eine Verlängerung der UN-Mission vorgeschlagen und einer Entwaffnung des Irak auf friedlichem Wege das Wort geredet.

In Paris war die Initiative sorgfältig und mit ungewöhnlichen Aufmerksamkeiten für Putin vorbereitet worden. Entgegen den Gepflogenheiten holte Chirac seinen Staatsgast persönlich am Flughafen ab. Die gemeinsame Pressekonferenz beendete der des Russischen mächtige Gastgeber statt mit dem üblichen „merci“ mit den Worten „Bolschoje spassibo“. Zu dem Diner waren neben den Gattinnen der beiden sowie der Creme der französischen Unternehmer auch ein halbes Dutzend amtierender und ehemaliger französischer PremierministerInnen geladen. Und bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen streifte Chirac das Thema der russischen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nur am Rande. Die Proteste gegen die dortigen Massaker überließ Chirac ein paar hundert Demonstranten im Pariser Stadtzentrum.

„Bloß eine andere Meinung“

Sorge vor einer internationalen Isolierung Frankreichs und seiner Partner in Europa hat Paris nicht. Erstens ist Chirac – zu Recht – überzeugt, dass er im Sinne einer großen Mehrheit der europäischen Öffentlichkeit spricht. Zweitens geht die französische Diplomatie davon aus, dass „11 der 15 Weltsicherheitsratsmitglieder“ ihre Meinung teilen. Und drittens ist Frankreich an diplomatischen Unbill mit Washington gewöhnt. Spätestens seit General de Gaulle Anfang der 60er-Jahre die militärische Nato-Integration verließ, kam es immer wieder zu Interessenkonflikten zwischen den USA und Frankreich. Die „atlantische Solidarität“ sei keineswegs gefährdet, versicherte denn Chirac am Montag bei seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Putin, „wir haben bloß eine andere Meinung“.

Im Laufe des gestrigen Tages registrierte Paris zahlreiche positive Reaktionen auf die Dreier-Initiative. Sogar China stellte in Aussicht, sich anzuschließen. Und in Bagdad schickte sich das Regime umgehend an, Überflüge für amerikanische, russische und französische Spionageflugzeuge im Rahmen einer verlängerten und aufgestockten UN-Inspektoren-Mission über sein Territorium zu gestatten.

Über Moskaus Unterstützung für eine weitere Zukunft der Dreier-Initiative macht sich Paris dennoch keine Illusionen. Putin, der in Paris zum Irak erklärte: „Der Einsatz der Gewalt kann schwerwiegende Folgen haben“, gilt als ausgewiesener Atlantiker und Proamerikaner. Seine neue und privilegierte Beziehung zu Washington wird der Russe keineswegs wegen des Irak aufs Spiel setzen, vermutet Paris.