Disko in Moskau

Wladimir Kaminer liest im Schlachthof aus seinem neuen Buch „Die Reise nach Trulala“

Die Neunzigerjahre brachen an, der Ostblock brach zusammen - für den jungen Moskauer Burschen Wladimir Kaminer die langersehnte Gelegenheit, nach einem bereits gescheiterten Versuch noch einmal aufzubrechen und es im Westen, in Berlin, zu versuchen. Denn die „Scheinaktivität“, wie Kaminer die ineffiziente Arbeitsweise seiner Landsleute nennt, war nichts für das umtriebige Multitalent.

Er entschied sich für eine klassische Künstler-Biografie: Nach diversen Aushilfsjobs als Packer, Zeitungsverkäufer oder Prospekte-Verteiler arbeitete der ehemalige Theaterschüler und Rock-Konzertveranstalter bald als Journalist, Radiomoderator und DJ der von ihm initiierten „Russendisko“ im Berliner Hipster-Treff Kaffee Burger. Zusammen mit seinem Freund Yurij Gurzhy legte er dort im November 1999 erstmals jene wilde Mischung aus „Zigeuner-Punk, Klezmer-Ska und Balalaika-Rock‘n‘Roll“ auf, die die immer noch regelmäßig stattfindenden Clubnächte binnen kürzester Zeit zum letzten Schrei der Hauptstadt-Szene machte.

Seit einigen Jahren veräußert Kaminer seinen prallgefüllten Alltag auch in Buchform, der Durchbruch gelang ihm 2001 mit der Kurzgeschichtensammlung - hätten Sie‘s gewusst? - „Russendisko“.

In seinem neuen Buch, „Die Reise nach Trulala“, finden sich diesmal skurrile Reiseerzählungen: voller Lakonie, oft an der Grenze zum Absurden, aber mit soviel jungenhaften Charme, feinem Witz und einer solchen Leichtigkeit erzählt, dass man es einfach nicht übers Herz bringt, sie nicht für wahr zu halten: die Geschichte von Onkel Boris zum Beispiel, der eine Gruppenreise nach Paris geschenkt bekommt. Aus Angst, sie könnten den Verlockungen des Kapitalismus verfallen, verfrachtet man die verdienten Helden der Arbeit jedoch in einen originalgetreuen Nachbau der Seine-Metropole in der südrussischen Steppe. Oder die Geschichte des jungen Piloten Joseph Beuys, der 1944 von dem verirrten Antoine de Saint-Exupery über der Krim abgeschossen wird.

Auch die Schilderungen des tristen Moskauer Alltags, der trägen sowjetischen Bürokratie, der staatlichen Verfolgung schlagen nie in ätzenden Sarkasmus oder Gejammer um, sondern sind von einer heiteren Gelassenheit bestimmt, die einmal mehr Kaminers feines Taktgefühl zeigen. Er versteht es meisterhaft, mit seiner liebevollen Ironie auch schwereren Stoff zu bewältigen, er überspannt den Bogen nie und zeigt stets Respekt und Einfühlungsvermögen für die Objekte seines Spottes.

Auch wenn man Kaminer gelegentlich den Vorwurf machen könnte, seine sich immer weiter fortspinnenden Anekdoten ließen es an wahrer literarischer Größe und seriösem Tiefgang fehlen: die präzise ökonomische Sprache, die lebendige Zeichnung seiner Charaktere, die wirkungsvoll eingesetzten Stilbrüche weisen ihn als hochtalentierten Erzähler aus und lassen die fünf abgeschlossenen Geschichten deutlich aus der breiten Masse an Popliteratur herausragen. Till Stoppenhagen

Freitag, 14.02., um 20.30 Uhr im Schlachthof. VVK: 04 21 - 36 36 36 und 35 36 37 sowie in der Buchhandlung Phönix und im Schlachthof