Linkspartei-Realos outen sich als Europäer

Im Streit über die Haltung zur EU beziehen junge Reformer Stellung – und stützen die proeuropäische Lafontaine-Linie

BERLIN taz ■ In der Linkspartei bahnt sich derzeit etwas an, was dort sehr selten ist: ein offener Streit um eine Grundsatzfrage. Hält die Linkspartei die EU nur für ein waffenstarrendes Instrument des Kapitals? Oder ist sie, trotz harter Kritik an Deregulierungen und Demokratiedefizit, im Zweifel eine proeuropäische Partei? Bei dem Streit geht es auch darum, ob die Partei mittelfristig regierungsfähig sein will.

„Europa ist mehr als Neoliberalismus und Aufrüstung. Europa ist keine Bedrohung.“ Dies sind die Kernsätze eines knappen, im Ton moderaten Papiers, mit der jüngere Reformer Stellung beziehen und das der taz vorliegt. Zu den Unterzeichnern gehören die stellvertretenden Parteichefinnen Katja Kipping und Halina Wawzyniak, der Parlamentarier Jan Korte, der Landeschef in Sachsen-Anhalt, Matthias Höhn, und die Berliner Realos Stefan Liebich und Klaus Lederer. In dem Papier heißt es weiter: „Wir stehen zu einer vertieften europäischen Integration.“ Die Linke sei immer internationalistisch gewesen, den Nationalstaat gegen die EU auszuspielen daher rückschrittlich.

Hintergrund dieser Initiative ist ein Konflikt um das Wahlprogramm der Linkspartei zur Europawahl im Juni 2009. Bei einer Sitzung des Parteivorstands hatte es am 29. September harte Kritik an den beiden Vorsitzenden Lothar Bisky und Oskar Lafontaine gegeben. Die Parteilinken Sahra Wagenknecht und Wolfgang Gehrke waren scharf mit dem von Bisky und Lafontaine verantworteten Wahlprogramm ins Gericht gegangen. Es sei zu EU-freundlich, so der Vorwurf.

In Biskys und Lafontaines Entwurf wurde der EU ein „politisches Gestaltungspotenzial“ bescheinigt, das weit über das von Nationalstaaten hinausreiche. Auch im Vertrag von Lissabon entdeckten Bisky und Lafontaine „Begrüßenswertes“ wie die Ausweitung der Rechte des EU-Parlaments. Positiv sei – unbeschadet der unveränderten Ablehnung des Vertrages durch die Linkspartei – auch, dass dort die 2001 verabschiedete Grundrechtecharta für rechtsverbindlich erklärt wird.

In dem neuen, überarbeiteten Entwurf für ein Wahlprogramm fehlen solche Grautöne. Die EU erscheint dort als Agentur des Neoliberalismus. Diesen Entwurf soll die Linkspartei nun diskutieren. Bisky und Lafontaine haben ihn mit einem bemerkenswerten Anschreiben an die Parteimitglieder versehen, in dem sie fast trotzig klarstellen: „Die Linke ist eine proeuropäische Partei.“

Die Attacke der Parteilinken an der EU-Front kam überraschend. „Wir waren darauf einfach nicht vorbereitet“, so ein Realo selbstkritisch. Mit dem Papier versuchen die Pragmatiker die EU-Debatte nun zu beeinflussen und sich für die Kandidatenaufstellung für die Europawahl Anfang 2009 zu positionieren.

Die Pointe dieses Streits ist, dass er quer zu den bekannten Frontverläufen in der Linkspartei steht. Lafontaine galt meist als Unterstützer von Wagenknecht und der Parteilinken und als Gegner der Berliner Realos und der jüngeren Reformer. Jetzt bekommt er, mit Bisky, ausgerechnet von dort Unterstützung.

STEFAN REINECKE