„Diese Menschen geben wir auf“

Wie weiter mit öffentlicher Beschäftigung? Martin Lühr wendet sich gegen Stigmatisierung Langzeitarbeitsloser

Weg mit allen Beschäftigungsmaßnahmen, stattdessen her mit 5.000 Jobs für Menschen, die es schwer haben auf dem ersten Arbeitsmarkt – das fordert der Verband Bremer Beschäftigungsträger (VBB). Er schlägt vor, staatlich finanzierte Billigjobs zu schaffen, deren Stundenlohn einen Euro pro Stunde über dem Arbeitslosengeld II – das in seiner Höhe der Sozialhilfe gleichkommt – liegen soll. Unternehmerchef Ortwin Baum kann dem Vorschlag bereits einiges abgewinnen. Martin Lühr, Berater bei der Beratungsstelle für Arbeitslose, AGAB, formuliert seine Zweifel an der VBB-Idee.

taz: Was ist denn auszusetzen an der Idee, viel mehr Beschäftigung für schwer vermittelbare Menschen zu schaffen als es bisher gibt?Martin Lühr: Grundsätzlich finde ich es richtig, diese Debatte zu führen. Aber letztendlich ist der VBB-Vorschlag ein zu defensiver Vorschlag, um in die Offensive zu kommen. Die Autoren behaupten, alles sei viel billiger zu machen als bisher – das ist das Defensive daran – dadurch, dass sie die Bezahlung extrem niedrig ansetzen, zu niedrig in meinen Augen. Da geht es mir noch gar nicht um den einen Euro, sondern eher ums Arbeitslosengeld II: Die Orientierung daran finde ich falsch, denn das Arbeitslosengeld II ist im Grunde eine Frechheit, weil es nicht armutsfest und durch die verschärfte Anrechnung von Partnereinkommen familienfeindlich ist.

Dafür wären 5.000 Jobs geschaffen.Das wären zwar mehr als alle Beschäftigungsmaßnahmen zusammen. Aber diese 5.000 Maßnahmen wären dann keine Brücke mehr, sondern eine Art beschützende Werkstatt für Langzeitarbeitslose. Da steckt was Bitteres drin: Einerseits wird, je mehr der Gesellschaft die Erwerbsarbeit ausgeht, die Integration durch Arbeit betont, aber zugleich liegt in der Vorstellung, die Brückenfunktion der öffentlich geförderten Beschäftigung aufzugeben, eine Ausgrenzung. Manche der Menschen, um die es geht, haben viele Erfahrungen von Armut und Scheitern hinter sich. Zu sagen, diese Menschen geben wir auf und tun sie in eine beschützende Werkstatt, hat etwas von einem Offenbarungseid.

Genau das sei doch längst der Fall, jetzt noch viel mehr als wenn ihr Vorschlag umgesetzt werde, behaupten die Autoren des VBB-Papiers, damit könne man doch einfach mal ehrlich umgehen. Die Vermittlung der Personengruppe, auf die diese 5.000 Jobs zielen, sei nun mal schwierig bis unmöglich.Das ist eine These. Die Zahl von 5.000 ist aus der Luft gegriffen – meines Erachtens ist sie zu hoch. Und um mal über den Tellerrand dieser sehr begrenzten Zielgruppe, die der VBB im Auge hat, zu sehen: Es gibt ja wesentlich mehr Erwerbslose als 5.000. Ein vernüftiges Angebot müsste ich doch allen machen. Und ordnungspolitisch: Sollen künftig alle Langzeitarbeitslosen beim Staat angestellt werden oder nur ein Teil? Wie gehe ich damit um, dass es dadurch Verdrängungseffekte geben wird? Auch wenn die Zielgruppe vielleicht nicht dieselbe Leistung erbringt wie eine Firma der freien Wirtschaft, tun sie etwas, das sonst andere täten. Als Insellösung – nur Bremen macht das, andere nicht – kann ich es mir überhaupt nicht vorstellen. Wenn, dann müsste es von Bundesseite eine solche Initiative geben. Das aber läuft völlig gegen den Mainstream. Derzeit geht es ja, lässt man die ganze Lyrik von der Halbierung der Arbeitslosigkeit außer Betracht, vor allem darum, alles billiger zu machen, die finanziellen Folgen von Arbeitslosigkeit für die öffentliche Hand zu minimieren.

Wenn Sie den VBB-Ansatz lediglich als Stichwort-Geber schätzen – haben Sie eine bessere Idee?Ich würde eher fordern, da anzusetzen, wo das Problem produziert wird. Aber davon ist in dem Vorschlag nicht die Rede und dies ist derzeit auch generell kein Thema. Wenn es eine gesellschaftliche Verantwortung gibt, sich um Menschen zu kümmern, die am Arbeitsmarkt ausgegrenzt sind, dann frage ich mich: Muss es so etwas Abgesondertes sein? Dann könnte man darüber nachdenken, jedem Betrieb zur Auflage zu machen oder die Möglichkeit zu geben, einen solchen Menschen zu beschäftigen, und die Kosten werden extern organisiert. Da braucht man keine Träger. Das wäre für mich ein sympathischeres, weil durchlässigeres Modell als das des VBB. Letztendlich reicht es jedoch nicht, nur über Modelle zu diskutieren und Kosten hin und her zu schieben, sondern es geht um grundsätzliche Fragen des Gemeinwesens.

Fragen: Susanne Gieffers