Wahlkampf im Zeichen der Blume

Der Igel ist das Wappentier der Berliner Grünen. Die Kandidaten für die Vorstandswahl am 22. Februar, derzeit auf Vorstellungstour, kommen allerdings wenig stachelig daher. Die Atmosphäre unter den Konkurrenten ist freundlich-nett

von STEFAN ALBERTI

Der Bürgersaal eines Seniorenheims in Kreuzberg, Erdgeschoss eines blassgelben Achtgeschossers. Hier wählen die Berliner Grünen am 22. Februar ihre neue Landesspitze. Eine Vorentscheidung ist dann schon anderswo gefallen. Längst hat ein Großteil der Parteitagsdelegierten die Vorstandsbewerber gehört und gesehen. Im Keller des Rathauses Schöneberg etwa oder in einem Spielplatzhaus nahe dem Kollwitzplatz in Pankow. Es ist Dienstagabend, elf Kandidaten sind gekommen, um dort wie vorher schon in anderen Kreisverbänden um Stimmen zu werben.

Vorsichtig tun sie es. Und schnell. Je zwei Minuten geben ihnen ihre Gastgeber in Schöneberg. Zwei Minuten für eine Kurzbiografie, politische Bewertungen und Ziele. Almuth Tharan, Vorsitzkandidatin und Pankower Grünen-Chefin, macht das zum Auftakt zur Schnellsprecherin im Stile des Werbungsnachklapps „Zu Risiken und Nebenwirkungen befragen Sie …“

Vorsichtig? Nur im Scherz nennt Landesgeschäftsführerin Kirsten Böttner den Doppel-Vorstellungsabend eine „Schlacht“. Persönliche Attacken bleiben aus. Tharan etwa kann auch ohne ausdrücklichen Hinweis sicher sein, dass sie als die erfahrenere der beiden Spitzenkandidatinnen gilt. Ihre Kreuzberger Konkurrentin Barbara Fenski hingegen steht vor ihren 2 Minuten auf – „damit mich auch alle sehen“.

Niemand misst sich direkt an Mitbewerbern. Das sei auch an anderen Vorstellungsabenden nicht anders gewesen, ist von Böttner zu hören. Dabei ist es seit Jahren dass erste Mal, dass der Landesverband für seine Spitze auswählen kann, mehr Bewerber als Posten hat. Vor allem für die Doppelspitze, für die neben Tharan und Fenski auch der bisherige Parteichef Till Heyer-Stuffer und der langjährige Charlottenburger Bezirkspolitiker Thomas Birk kandidieren. Ko-Chefin Regina Michalik tritt nicht mehr an.

Offensiver wird an diesem Abend nur Birk. Zu wenig soll sich der Vorstand über die Fraktion in die Landespolitik eingeklinkt haben. „Der Nachtragshaushalt ist jetzt ohne Beteiligung der Partei besprochen worden“, sagt Birk in Schöneberg, wo es um 18 von 160 Delegiertenstimmen für die Wahl geht. Er habe vermisst, dass sich der Vorstand eingebracht habe, formuliert er eineinhalb Stunden später bei den Pankowern, die 12 Stimmen zu vergeben haben.

Heyer-Stuffer – „Ich bin eher der integrative Typ“ – hört ihm im Rathauskeller mit verschränkten Armen zu. Wird er kontern, Schwachpunkte bei Birk ausmachen? Nein, er räumt ein, dass inhaltlich einige Punkte wegen der zurückliegenden Wahlkämpfe auf der Strecke geblieben seien. Doch die Erfahrungen daraus, die vielen Kontakte auch mit Politikern anderer Parteien, sie sollen die Basis für weitere zwei Jahre an der Spitze sein.

Man äußere sich nicht über seine Mitbewerber, sagt Heyer-Stuffer der taz. Lieber eigene Inhalte vorstellen, statt sich in Attacken zu verrennen. „Das Argument, der Landesvorstand sei nicht bei Fraktionssitzungen gewesen, läuft sich doch tot.“

Die Atmosphäre ist folglich freundlich-nett. Wahlkampf im Zeichen der Blume, nicht des Igels. Ob Birk auch ein Taxi nehme, fragt Heyer-Stuffer beim Wechsel vom Schöneberger Rathaus hin zum Kollwitzplatz in Pankow, wo rund 50 Grüne auf die Kandidaten warten. Man ist schon seit mehreren Abenden zusammen unterwegs, per parteiübliches Du sowieso.

Ebenso freundlich-zurückhaltend ist die Reaktion auf die Vorstellungen, bei denen mindestens genauso oft von politischen Inhalten wie dem Versprechen von besserer Kommunikation und Vernetzung die Rede ist. Keine Vorwürfe an den amtierenden Vorstand mit Heyer-Stuffer und Böttner, keine erkennbar bestellten Gefälligkeitsfragen für die Lieblingskandidaten. Sollte Birk in seinem Wohnbezirk Schöneberg einen Fanclub haben, so hält sich der an diesem Abend zurück.

Beifall und Tischklopfen gibt es in Schöneberg für Nike Wessel, Chefin der Grünen Jugend, jüngste Kandidatin und designierte Beisitzerin. 21 Jahre, sieben davon schulpolitisch aktiv, Künast-Mitarbeiterin, frei vorgetragene Bewerbung – das beeindruckt hörbar.

Diszipliniert geht der Abend vorüber. Böttner erzählt, dass der Ruf des Landesverbands auf Bundesebene besser geworden sei: „Wir gelten nicht mehr ausschließlich als links und durchgeknallt.“ Im Wahlkampf hätten die Grünen nach außen das Bild einer geschlossenen Partei abgegeben. Zu geschlossen für Böttner: „Ich hoffe, dass diese Zeit vorbei ist und dass wir anfangen, uns zu streiten – und nachher wieder verbinden.“

Das klingt mehr nach einer Parteichefin als nach der Geschäftsführerin, die sie bleiben will. Tatsächlich hätten viele sie aufgefordert, als Vorsitzende zu kandidieren. Ein Gerücht wabere durch die Partei. Dass sie doch am 22. in jenem blassgelben Haus …? Ihre Antwort: „Nein.“