Zeit totschlagen in Ruinen

Die Fabriken machen dicht, die Menschen werden umgesiedelt, und nur ein paar leisten Widerstand : „Yan Fen Jie“, der zweite Teil einer dreiteiligen Videodokumentation Wang Bings im Forum über den Niedergang der chinesischen Industrieregion Tie Xi

von BRIGITTE WERNEBURG

Gigantisch anmutende 300 Minuten dauerte der erste Teil von Wang Bings insgesamt aus drei Teilen bestehender Videodokumentation über die Tie-Xi-Region im Nordosten Chinas, den der 1967 geborene Filmemacher im letzten Jahr auf der Berlinale zeigte. Die gigantischen 300 Minuten entsprachen dem gigantischen Niedergang einer Industrieregion, die für China das darstellte, was das Ruhrgebiet einmal für Deutschland bedeutete.

Wenn der Regisseur jetzt im Forum den zweiten Teil „Yan Fen Jie“ der Trilogie zeigt, dann ist der schon auf menschlichere 170 Minuten geschrumpft. Die Kosten, die auf dem Weg Chinas in eine moderne Industriegesellschaft anfallen, werden nicht mehr in der Sphäre der Produktion, sondern der der Reproduktion widergespiegelt. Dass die Fabriken dichtmachen, erschließt sich dem Betrachter durch die Bewohner der Siedlung „Rainbow Row“, die aus den fabrikeigenen Häusern ausziehen sollen.

Das tun die meisten, wenn auch ungern. Nur ein paar leisten verzweifelten Widerstand. Und ihnen bleibt Wang Bing denn auch auf der Spur. Und dabei zeigt er geradezu Michael Moore’sche Qualitäten: etwa wenn er seinen Film mit der „Chinese Charity Lottery“ eröffnet, die die „Rainbow Row“ mit Papiergirlanden und Schlagermusik festlich verschönt, und der junge Mann, der den Hauptpreis, einen großen Fernseher gewonnen hat, auf die Frage des Conférenciers, was er denn beruflich mache, antwortet, er sei „between jobs“. „Aha,“ meint der MC fröhlich, „arbeitslos, wie lange denn? Seit sechs Monaten?“ „Nein“, antwortet der junge Mann, „seit zehn Jahren.“

Doch dann entwickelt sich der Film ganz eng entlang der Chronologie der Ereignisse und entlang der Bewegungen seiner Protagonisten, vor allem junger Leute, die bis zum bitteren Ende in der ruinierten Siedlung verharren. Ihre Liebeshändel, ihre Versuche, zu Geld zu kommen oder den Tag rumzukriegen, indem sie beim Lebensmittelladen abhängen, sind das Thema des Films, das er in langen, ungeschnittenen Einstellungen, also geradezu in real time beobachtet.

Was nicht ins Blickfeld kommt, was mit dem Lotteriemann doch fast versprochen war, ist der staatliche Apparat, der hinter der Räumung der „Rainbow Row“ steht. Wer sind die Leute von der Umsiedlungsagentur? Man weiß nicht: Ist es Konzept des Films, dicht bei den Betroffenen zu bleiben, oder ist es zu brisant, die Agenten des Wandels zu befragen?

Heute, 17.30 Uhr, Babylon