die trunkauslöserin von JÜRGEN ROTH
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Meine Frau hebt das Bierglas, schaut mich zweifelnd, ja verzweifelt an und nimmt einen gründlichen Schluck.

Wir sitzen an einem fein gedeckten Tisch im Salon eines österreichischen Luxushotels. Uns steht ein mehrgängiges Upperclass-Menü bevor, und der Hausherr, ein sehr sympathischer, über seine eigenen halbgaren und als solche erkannten Ausführungen zur „Philosophie des Hauses“ stolpernder Seniorchef, redet Polt-artig polternd über allerhand Erholungskonzepte und Entspannungskrämpfe.

Um uns herum hockt eine vierzig, fünfzig Fraumann starke Abteilung derjenigen Presskanaillenspezies, die jahrein, jahraus auf Reisen geht, gratis in den teuersten Etablissements logiert, sich abfüllt, vollhaut und dann ihre Impressionsfeuilletons in die Blätter erbricht.

Der Chef kommt zum Ende, und ein Dorftrampel aus der großen Stadt erhebt die Stimme. Sie ist, klitschenkitschig gekleidet, pappfeucht bespachtelt und so frech wie ihre furios fürchterliche Frisur, Trägerin eines Doppelnamens. Die verschwommen-verquollenen Reiseredakteure um uns herum greifen schon zum Brand, Frau Dolly Bohr-Schützenberg legt los: „Das ist ja schön und gut, was Sie da sagen“, richtet sie das Richterwort an den jankertragenden Hotelherrn, „aber ich muss Sie jetzt mal beim Wort nehmen: Ich komme in mein Zimmer, und Sie versprechen mir Wellness. Das Konzept klingt ja gut, gut und schön. Aber ich komme in mein Zimmer, also, ich komme in mein Badezimmer, und dann seh ich, dass da zwar Handtücher liegen und Seife hinterlegt wurde, aber ich muss Sie schon fragen, warum Sie, na, warum, ja, wo, ich mein, ich hab da kein Beauty-Set gesehn, keine nette Kosmetikreihe. Im ganzen Badezimmer kein Beauty-Set! Wenn Sie ein Konzept, eine Wellness-Philosophie haben, dann frage ich mich, wie man die elementarsten, die einfachsten Beauty-Utilities vergessen kann. Es kann doch nicht sein, dass Sie uns erzählen, Sie würden jedem Gast jede Möglichkeit bieten, um nach seinen Bedürfnissen entspannen zu können. Ein Beauty-Case finde ich in jeder drittklassigen Klitsche im Badezimmer vor, und Sie haben nicht mal eine Feuchtigkeitscreme parat. Geschweige denn einen Damenrasierapparat. Also, das möchte ich Sie schon mal fragen!“

Der Boss schaut. Ich entdecke den Benimmhitler in mir und überlege, wie ich Dolly wegbomben könnte. Der Hotelboss schaut so vor sich hin, und ich schaue meine Frau an. Sie legt spontan ihren Doppelnamen ab, erwägt – sie gibt mir ein Zeichen, das ich richtig verstehe –, ihre weltfrauliche Geschlechtsgenossin des Salons zu verweisen, steht aber auf, zischt: „Schnalle, damische!“, marschiert zum Tresen und … (Rest zum Glück vergessen).

An unserem Tisch sitzt ein Kollege von der Neuen Revue aus Offenburg. Seine blonde Frau guckt ins Leere. „Ich glaube, wir trinken jetzt was, oder was meinen Sie?“, sagt der Mann von der Neuen Revue.

Weil ich nichts mehr zu sagen habe, habe ich dagegen nun wirklich auch nichts mehr nichts zu sagen.