SOZIALPOLITIK: DIE CDU/CSU ÜBERTREIBT DIE DIFFERENZEN
: Koalitionen kennen keine Lichtjahre

„Lichtjahre“ seien Union und Rot-Grün in Sachen Gesundheitsreform noch auseinander, meint der ehemalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) selbstbewusst. Auf Gespräche darüber werde sich die Opposition erst einlassen, wenn die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlege. Gleich lautend äußerte sich CDU-Chefin Angela Merkel – bevor sie sich mit Kanzler Gerhard Schröder für eine halbstündige Plauderei traf.

Die Union zeigt, wie ihr das Regieren Spaß macht. Sie präsentiert eine Forderung nach der anderen, ganz als hätte sie erst seit den Wahlen in Hessen und Niedersachsen gemerkt, dass sie die Mehrheit im Bundesrat hat. Flächentarifverträge – wozu? Kündigungsschutz – weg damit! Patienten – sollen draufzahlen! Über all dies will man konstruktiv mit Rot-Grün reden, aber nur, wenn man gerade Zeit und Lust hat. Und eifrig springen SPD wie Grüne jedem faulen Obst hinterher, das die Union ihnen in den Käfig wirft.

Angesichts dieses traurigen Spektakels sollte daran erinnert werden, dass es bei der Politik auch um Inhalte geht und nicht nur darum, wie weit die Union den Kanzler über den Tisch zieht. Nur auf den ersten Blick ist es glaubhaft, dass CDU und CSU ihre Forderungen so formulieren, dass sie hart und groß wirken und die Sozialdemokraten daneben ganz weich und klein. Die eigentliche Welt der Sozialpolitik zeigt sich erst auf den zweiten Blick, auf die Ausschüsse und Gremien, in denen die Abgeordneten schon lange beisammenhocken, dieselben Wissenschaftler befragt, dieselben Studien gewälzt und ihre Zahlen abgeglichen haben.

Und tatsächlich, ob in offener Formulierung oder im heimlichen Einvernehmen, liegen die Ideen von Union und Rot-Grün keine „Lichtjahre“ auseinander – ob bei der Patientenzuzahlung, der Abschaffung versicherungsfremder Leistungen oder der Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen. In Deutschland bedeutet Sozialpolitik, dass Fachpolitiker aller Parteien gemeinsam an vielen kleinen Schräubchen gleichzeitig drehen – egal, was die Union behauptet. ULRIKE WINKELMANN