So senden Sie den Sport sauber!

VON STEFFEN GRIMBERG, JÜRN KRUSE
UND ANDREAS RÜTTENAUER

1. Meiden Sie jede Distanz zum Geschehen. Versuchen Sie, so nah wie möglich an die Sportler und Ihre Betreuer heranzukommen. „Heute sind wir zu Gast im Allerheiligsten“, sagte ein ARD-Reporter, als er aus dem Teambus des deutschen Radrennstalls Milram eine Etappe der Tour de France anmoderierte. Dafür, dass er das durfte, gebührt den Milchradlern Dankbarkeit. Hans-Michael Holczer, Teamchef des ganz tief gefallenen Rennstalls Gerolsteiner, war bei den Übertragungen von ARD und ZDF beinahe immer bereit, ein Interview zu geben. Die Reporter haben es ihm gedankt, indem sie jede kritische Frage vermissen ließen. Holczer durfte den Ahnungslosen geben. Am Ende sah die Öffentlichkeit in ihm einen Kämpfer gegen das Doping. Umso lauter konnten die Siege seiner Fahrer gefeiert werden. Nun steht fest: Bernhard Kohl, österreichischer Sieger der Bergwertung, und Stefan Schumacher, Gewinner beider Zeitfahren, sollen gedopt haben. Mit Cera, dem neuen Epo-Präparat. Die übertragenden Sender können jetzt in die Rolle der Betrogenen schlüpfen. Holczer kann dies – auch dank ARD und ZDF – ebenfalls.

2. Glauben Sie an das Gute im Sport. Die Vergangenheit zählt nicht. Jede Tour, jeder 100-Meter-Sprint hat eine neue Chance verdient. Bloß nicht dauernd aussprechen, was sowieso jeder weiß: Wer bei der Tour de France vorne mitfährt, spritzt, schluckt oder inhaliert irgendwas. Erwischen lassen sich sowieso nur ganz wenige, ganz blöde: Während der diesjährigen Rundfahrt stolperte unter anderem Ricardo Ricco, der zwei Etappen gewinnen konnte, über die Dopingkontrollen. Es folgten Schumacher und Kohl in nachträglichen Tests. Insgesamt sieben Dopingfälle gab es bei der Tour 2008. So viele wie noch nie. Sieben! Ist doch gar nicht so viel. Lance Armstrong, siebenfacher Toursieger mit einschlägiger Vergangenheit, könnte bei der Tour 2009 wieder an den Start gehen. Er ist nie gesperrt worden, offiziell ist er kein Dopingsünder. Kann es etwas Größeres geben, als ihn zu seinem achten Toursieg (historisch) zu begleiten? Vielleicht sogar im Teambus? Wohl kaum!

3. Nehmen Sie viel Geld in die Hand. Übertragungsrechte sind teuer! Gut, die Tour de France wirkt mit ihren kolportierten 5 Millionen Euro, die ARD und ZDF jährlich für die Rechte überweisen, wie ein Schnäppchen gegenüber den Olympischen Spielen, für die 2006 und 2008 76 Millionen Euro hingeblättert wurden. Demnächst werden die Spiele noch teurer: Die Übertragungen aus Vancouver (2010) und London (2012) werden die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mehr als das Doppelte kosten. Damit stoßen die Spiele in Sphären des Fußballs vor: Für die Europameisterschaft in diesem Jahr sollen ARD und ZDF 115 Millionen Euro, für die Weltmeisterschaft im eigenen Land 2006 gar 220 Millionen gezahlt haben. Wenn so viel Geld für die großen Events ausgegeben wird, bleibt für Randsportarten kaum Platz im Budget. Die Veranstalter kleiner Wettkämpfe können sich aber gern ins Programm einkaufen. Bis vor Kurzem konnte man sich dafür vertrauensvoll an die Herren Jürgen Emig (HR) und Wilfried Mohren (MDR) wenden.

4. Stellen Sie ein großes Team auf. Bei der Tour de France in diesem Jahr beschäftigten ARD und ZDF gemeinsam 160 Mitarbeiter, die insgesamt vier Wochen durch Frankreich zogen. Das hatte natürlich seinen Preis: Die Produktionskosten lagen allein für die ARD bei 2,5 Millionen Euro. Bei 180 gestarteten Fahrern konnte sich das Peloton rundum gut betreut fühlen von ARD und ZDF. Jeder deutsche Fahrer kam so auf einen Betreuungsschlüssel von eins zu zehn. Auch in Peking waren mehr Mitarbeiter von ARD und ZDF als deutsche Olympia-Sportler vor Ort: 500 zu 436. Alles war doppelt besetzt. Allein 11 Moderatoren waren vom Ersten im Einsatz, 19 sandte das Zweite zu den Olympischen Spielen nach Fernost.

5. Basteln Sie sich Helden. Kinderfotos, das erste Rennen, die stolzen Eltern, das harte Training, der Ehrgeiz, frühe Erfolge, Entbehrungen, Triumphe. Kleine TV-Hagiografien, hoch dosiert eingestreut in die Liveberichterstattung, machen aus jedem Sport-Event ein Hochamt, in dem die Leistungsfähigkeit des Menschen gefeiert wird. Im Radsport stehen die nächsten deutschen Helden schon bereit. Linus Gerdemann hat in diesem Jahr die Deutschlandtour gewonnen und trug auch bei der Tour de France schon einmal das Gelbe Trikot. Jetzt sagt er, er fühle sich verarscht von seinen gedopten Kollegen. Ein Grund mehr, ihn ganz groß zu feiern.

Als via „Tagesschau“ die deutschen Biathleten verdächtigt wurden, in Wien regelmäßig ihr Blut aufgefrischt zu haben, war das Entsetzen der Sportreporter groß. Als feststand, dass der Verdacht sich so einfach nicht belegen ließ, entschuldigte man sich untertänigst. Die Homestorys über Skijagdkönigin Kati Wilhelm und Kollegen fielen noch liebedienerischer aus als zuvor. Die Helden leben wieder.

6. Achten Sie auf ein gepflegtes Äußeres. Nicht jeder, der etwas zu sagen hat, macht sich gut in einem Fernsehstudio. Stellen Sie Regeln auf für die Auswahl der Studiogäste. Medaillengewinner, Etappensieger, Matchwinner sind immer gern gesehen – egal wie sie aussehen. Alle anderen Gäste sollten auch optisch etwas hermachen. Die ARD hat das bei Olympia schon ganz gut hingekriegt. Es soll vorgekommen sein, dass auf einer Checkliste für die Einladung von Gesprächspartnern das Kriterium „Aussehen“ explizit aufgeführt war.

7. Kuscheln Sie mit Fachleuten. Ehemalige Sportler reden gerne über ihren ehemaligen Sport. Das sollten Sie ausnützen. Marcel Wüst ist Radsportexperte der ARD. Ein ganz sauberer: Festina-Skandal 1998, der erste große Doping-Eklat bei der Tour de France. Damals beim Team des Uhrenherstellers unter Vertrag: Marcel Wüst. Er wurde vom ehemaligen Masseur des Teams, Willy Voet, des Dopings bezichtigt. Doch Wüst will nichts genommen, gesehen oder gehört haben. Ins ARD-Team ist er hoffentlich besser integriert als damals bei Festina.

„Dazu sag ich nichts“, lautete Franziska van Almsicks stets wiederkehrende schroffe Antwort, wenn Moderator Ralf Scholt in Peking das Thema Doping nur vorsichtig am Beckenrand ansprach. Dass Leistungen wie die von Michael Phelps nach einer kritischen Analyse schreien, ließ van Almsick kalt.

Das ZDF hat mit Kristin Otto eine ehemalige Schwimmerin als Moderatorin. Im DDR-Badeanzug 1988 holte sie sechs olympische Goldmedaillen. Dokumente des DDR-Dopinglabors in Kreuscha belasten Otto schwer. Doch Otto unterschrieb, dass sie „nie wissentlich oder willentlich verbotene Mittel eingenommen“ habe. Das reicht ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender.

8. Halten Sie sich Dopingexperten. Manchmal geht es nicht anders. Wenn einer erwischt wird, müssen auch Sie über Doping berichten. Belasten Sie Ihr Reporterteam nicht mit Fakten aus Medizin und Pharmakologie. Die ARD greift, wenn es heikel wird, auf Hajo Seppelt und Florian Bauer zurück. Die anderen sollen ihre Liebe zum Sport nicht verlieren. Es muss es ja auch jemanden geben, der sich über Weltrekorde live am Mikro freuen kann.

9. Sprechen Sie nur über Doping, wenn einer erwischt wird. Bei Olympia hat das ja gut geklappt: Vor den Spielen wurde mehreren ARD-Programmverantwortlichen und Redakteuren von Olympia-Teamchef Walter Johannsen (NDR) schriftlich mittgeteilt, man „fahre nicht nur nach Peking, um über Doping zu berichten“. Und „nur, wenn sich Themen aufdrängen, werden sie ins Programm genommen“, ansonsten wolle man „die Szene“ lediglich beobachten. Das mag erklären, warum die ARD-Dopingredaktion mit Florian Bauer und Hajo Seppelt eher selten zum Zuge kam. Johannsen hatte auch gegenüber der Nachrichtenagentur epd gesagt: „Die beiden Kollegen werden für den Fall gewappnet sein, dass wir reagieren müssen. Es macht für mich aber keinen Sinn, ständig Mutmaßungen anzustellen. Damit trifft man ja auch die vielen Sportler, die sauber sind.“ Sportberichterstattung also nach dem Motto „Augen zu und durch“. Erst wenn es knallt, wird geguckt, wen es getroffen hat. Auf den wird die Dopingberichterstattung dann fokussiert. Sicher nur ein krasser Einzelfall!