berliner szenen Lauter als üblich

Die lieben Nachbarn (3)

Seitdem wir in einer neuen Wohngegend wohnen, sind unsere Nächte um einiges aufregender geworden. Letzten Sonntag hörten wir morgens um fünf Lärm im Treppenhaus. Eine Frau schrie und weinte, ein Mann beschimpfte sie mit Ausdrücken, die an Originalität und Abwechslungsreichtum zu wünschen übrig ließen. Als es dann auch noch krachte und die Stimme der Frau panisch wurde, griffen wir zum Telefon.

Die Polizisten rollten in der üblichen Besetzung an: ein Beamter und eine Beamtin. Sie joggten die Treppen hoch. Im Dachgeschoss wurde es noch lauter. Die Polizisten joggten die Treppe wieder hinunter. Der Beamte nuschelte in sein Gerät, als müsste er etwas vor uns geheim halten, er schien sich zu schämen. Drei Minuten später hielt ein zweiter Einsatzwagen mit zwei Männern vor unserer Tür.

Die Männer joggten die Treppen hoch, die Beamtin blieb bei uns. Das ist der vierte Einsatz diese Woche, teilten wir ihr mit. Sie nickte wissend. Oben im Dachgeschoss polterte es. Ein Mann brüllte etwas Unverständliches. Nach ein paar Minuten wurde er von zwei Polizisten die Treppe hinuntergeführt. In Handschellen. Er beschwerte sich, dass er kalte Füße hätte und eine Erkältung bekäme. Er hatte seine Schuhe in dem Chaos nicht so schnell gefunden und war nun auf Socken.

Typisch, murmelte ich, erst Frauen verprügeln und sich dann Sorgen um die eigene Gesundheit machen. Da kann man nichts ändern, sagte die Polizistin, die wacht heut Mittag auf und fragt: Wo ist mein Schatzi? Sie ging nach oben und holte dem frierenden Mann seine Schuhe. Wir sahen uns verunsichert an. War unser letzter Streit nicht auch schon lauter als üblich gewesen? SANDRA NIERMEYER