Angst sprengt jede Party

Begehrte Vorkriegsprodukte sind Waffen. Die Bagdader wollen sich mit ihnen im Nachkriegschaos schützen

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

King Kong droht, Dracula auch, und aus einem sich quietschend öffnenden Sarkophag winkt eine Mumie. Die Kinder sind vergnügt über den Spuk, den sie im Wagen der Geisterbahn erleben können. An den Schießständen zielen sie ebenso fröhlich auf leere Dosen. Der Hit auf dem Jahrmarkt aber ist eine überdimensionale Schaukel in Schiffform. Sie wurde erst vor vier Monaten hier aufgebaut und trägt den Namen „Arche Noah“.

Auf dem Jahrmarkt feiern die Einwohner Bagdads Aid al-Adha, das islamische Opferfest, das am Dienstag begann und noch bis morgen dauert. „Wir feiern dieses Jahr nur wegen unserer Kinder“, sagt eine irakische Mutter. Ihr sei nicht besonders festlich zumute, erklärt sie, während sie ihrer Tochter über das Haar streicht. Auf die Frage, wie alt sie sei, antwortet das Mädchen, sie habe am 8. März ihren zehnten Geburtstag. Um dann gelassen hinzuzufügen, dass der wohl dieses Jahr ausfalle: wegen des Krieges. Die Mutter ist sprachlos. Ein ganz normales Fest, von wegen!

Auch andernorts will es mit der Feiertagsroutine nicht ganz klappen. Noch am Tag vor dem Fest hat der Bauer Abu Haider versucht, neben einer der Einfahrtstraßen in die Stadt seine kleine Schafherde zusammenzuhalten. Eigentlich sind sie alle für das Schlachtermesser gedacht. Traditionsgemäß schlachten Muslime, die es sich leisten können, zum Opferfest ein Schaf, behalten ein Drittel für sich, geben ein weiteres Drittel den Nachbarn und Freunden und verschenken den Rest an die Armen. Doch dieses Jahr haben die kriegsbereiten Amerikaner am Golf einigen der friedlich dreinblickenden, unbedarft wiederkäuenden Wesen offensichtlich das Leben gerettet. Er habe viel weniger Tiere verkauft als sonst, erzählt Abu Haider. Die meisten Leute in Bagdad, sagt er, behielten ihr Geld lieber bei sich angesichts der unsicheren Zeiten, die auf sie zukommen.

Vor den Passämtern in der Stadt warten die Menschen. Ab drei Uhr morgens stehen dort bereits einige an, um sich eines der begehrten Reisedokumente zu beschaffen. So mancher, der Geld hat, hat sich mit seiner Familie bereits in den letzten Tagen zu einer längeren Urlaubsreise abgesetzt, meistens in Richtung Syrien. Übrig bleiben diejenigen, die sich solche Reisen nicht leisten können, und das sind neun von zehn Irakern.

Sie bereiten sich darauf vor, einen Krieg zu überstehen. Auch beide Wellensittiche der Familie Abu Hamza sollen überleben. Die hat sich in ihrem Haus nämlich nicht nur für sich, sondern auch für die beiden Ziervögel einen Kriegsvorrat angelegt. Die Familie kann man der Mittelschicht zuordnen, sie wohnt im Zentrum Bagdads. Aus dem letzten Golfkrieg haben sie gelernt, dass es keinen Sinn hat, die Tiefkühltruhe zu füllen, wenn gleich am ersten Tag des Krieges der Strom ausfällt. Also kaufen sie Trockengüter. Neben der Extraration Sonnenblumenkerne für die beiden Wellensittiche stehen auf der Treppe im Haus Mehl-, Reis-, Nudel- und Zuckersäcke, dutzende von Wasserkartons und vier Kochgasflaschen. Noch sind die Vorbereitungen für den Kireg nicht abgeschlossen. Als im Fernsehen ein Werbespot die Büchsenvariante einer auf Monate haltbaren Mortadellawurst anpreist, entspinnt sich zwischen Abu Hamza und seiner Frau eine Diskussion, ob man nicht morgen auch noch ein paar Büchsen davon besorgen soll.

Selbst an eine Schachtel mit Batterien für das Kurzwellenradio haben sie gedacht, um wenigstens irgendwie mitzubekommen, was während des Krieges draußen geschieht. Das chinesische Radiogerät haben sie erst vor wenigen Tagen für sieben Dollar erstanden. Der Verkäufer hat garantiert, dass mindestens sechs Monate vergehen werden, bevor das Billiggerät den Geist aufgibt. Genug für die Zeit des Krieges, scherzt Abu Hamza. Wer sich kein neues Gerät mit sechsmonatigem Verfallsdatum kaufen will, der kann auch am Freitag auf den Suq al-Haramiya gehen, den „Markt der Diebe“. Dort werden gebrauchte Markengeräte angeboten. Um vorzuführen, dass der alte Weltempfänger tatsächlich noch gut funktioniert, dreht der Verkäufer an der Sendereinstellung, bis schließlich rauschend der arabische Dienst der britischen BBC zu vernehmen ist: Probe für den Kriegseinsatz bestanden.

Wer ein Auto besitzt, der versucht dieser Tage, ständig seinen Tank gefüllt zu halten. Wer weiß, wozu das meist nach zwölf Jahren UN-Sanktionen völlig klapperige Gefährt noch zu gebrauchen ist. Und jeder in der irakischen Hauptstadt weiß: Wenn es einmal losgeht, wird es mit dem Nachschub an Kraftstoff und der motorisierten Flucht sofort vorbei sein. Es wird erwartet, dass die Behörden die Tankstellen vor einem Krieg aus Angst vor Explosionen noch schnell leer pumpen lassen. Schon jetzt dürfen Ersatzkanister an der Tankstelle offiziell nicht mehr gefüllt werden. Nur nach Mitternacht, so heißt es, macht der Tankwart gegen ein entsprechendes Bakschisch eine Ausnahme.

Begehrte Vorkriegsprodukte sind auch Waffen, mit denen man seine Familie in einem Nachkriegschaos zu schützen hofft. Die meisten Iraker fürchten sich weniger vor einem Bombardement der USA als davor, dass nach einem Krieg alte Rechnungen beglichen werden und sich die verschiedenen Gruppen aus Schiiten, Kurden und Sunniten bekämpfen. Eine Kalaschnikow kostet auf dem Schwarzmarkt derzeit 120 Euro. Das ist weniger als eine Pistole, denn die lässt sich erstens leichter verstecken, und zweitens ist die Munition preisgünstiger. Angeblich sollen sogar von der russischen Armee abgestempelte Orginalkisten mit tausend Schuss Kalaschnikow-Munition zu haben sein. Für die meisten irakischen Heimverteidiger ist das ein unerreichbarer Traum, da dafür fast ein ganzes Jahresgehalt fällig wäre.

Auch die Regierung fürchtet offensichtlich, dass die alte Ordnung zusammenbricht, wenn die Amerikaner erst einmal angreifen. Um die großen schiitischen Armenviertel in der Hauptstadt wurden bereits vorsorglich Posten bezogen. In der ganzen Stadt ziehen die Wärter von Saddam Husseins regierender Baath-Partei durch die ihnen zugesprochenen Straßen von Tür zu Tür und lassen sich unterschreiben, dass auch jeder verstanden hat, dass mit Beginn des Krieges eine Ausgangssperre gilt und sich niemand außer den Militärs und den Baath-Leuten auf den Straßen Bagdads aufhalten darf.

Die meisten Ausländer haben, abgesehen von dem journalistischen Krisenwanderzirkus, den UN-Waffeninspektoren und einigen wenigen in den Botschaften Ausharrenden, bereits das Land verlassen. Die Prognose in der Stadt lautet: Ab nächstem Wochenende, nach dem Opferfest und nach dem nächsten Bericht der UN-Waffeninspekteure Hans Blix und Mohamed al-Baradei in New York, ist alles möglich.

Einer der wenigen in Bagdad lebenden Ausländer, der noch geblieben ist, beschreibt die ganze Absurdität des Wartens auf den Sturm. „Du sitzt auf deiner Veranda, trinkst dein Bier, und alles scheint normal.

Dann kommt deine Nachbarin und fragt, ob du zufällig Ohrstöpsel hast. Du fragst dich, ob diese Frau nicht andere Sorgen hat als diese blöden Stöpsel. Dann erklärt sie dir, dass sie für die Kinder seien, damit diese sich nicht zu sehr vor den Bombenexplosionen fürchten. Dann schüttest du dein Bier weg und kannst für die nächsten Stunden nichts mehr essen.“