„Die Welt hat nichts dazugelernt“

Seit Oktober ist Bernd Stange Fußball-Nationaltrainer des Irak. Gestern musste er wegen des drohenden Krieges ausreisen. Nun befürchtet der 54-Jährige, dass bei seiner Rückkehr die Hälfte seiner Spieler auf dem Friedhof liegen könnte

aus Bagdad KARIM EL-GAWHARY

Er sieht niedergeschlagen aus, wie er so dasitzt in der verschlissenen Bankecke im Bagdader Sheraton-Hotel. Fünf Monate hat der deutsche Fußballtrainer der irakischen Olympia- und Nationalmannschaft hier gewohnt, doch nun muss Bernd Stange auschecken. Zwangsweise. Die deutsche Botschaft hat ihn, wie alle Deutschen, aufgefordert, aus Sicherheitsgründen das Land sofort zu verlassen. Dass der strömende Regen gegen das Fenster klatscht, passt zur Stimmung. Er sei sehr stolz auf das, was er in so kurzer Zeit geleistet habe, sagt Stange, der Fußball-Lehrer. Seine Mannschaft hat in letzter Zeit überall in der Region Aufsehen erregt. Um so deprimierender sei es nun, all das einfach hinter sich lassen zu müssen.

Das er irgendwann, „wenn das alles vorbei ist“, zurückkommen wird, daran hat der 54-Jährige keinen Zweifel. Sein Vertrag erlaubt es ihm, im Kriegsfall seine Tätigkeit kurzfristig zu unterbrechen, danach aber will er da weitermachen, wo er jetzt schweren Herzens aufhört. Als ihm mitgeteilt wurde, dass er das Land verlassen solle, überkam Stange das Gefühl, aus einer schwierigen Situation einfach so zu flüchten und die Menschen hinter sich zu lassen, die er liebgewonnen und mit denen er so hart trainiert hat. Aber die Spieler und der Verband hätten Verständnis dafür gehabt, dass er nach Deutschland zurückreist, zu seiner Familie in Jena.

Seine Mannschaft hatte das vor wenigen Wochen bei einem Freundschaftsspiel in Dubai nicht anders entschieden: Die Arabischen Emirate hatten im Einvernehmen mit dem irakischen Fußballverband der Mannschaft und dem Trainer angeboten, ihnen in Dubai „ein Trainingslager unter Fünf-Sterne-Bedingungen“ zu finanzieren, um so dem drohenden Krieg aus dem Weg gehen zu können. Das Angebot galt bis zum 5. April, jenem Tag, an dem die irakische Fußballmannschaft zur Olympiaqualifikation gegen Vietnam antreten soll. Als Stange die Offerte mit seinen Spielern besprach, lehnten diese ab. Sie wollten in schweren Zeiten in der Nähe ihrer Familien sein, teilten sie dem Trainer mit.

Wann Stange wieder nach Bagdad zurückkehren wird, darüber will er nicht spekulieren. „Ich wünschte mir, ich wäre nur eine Woche weg und es fänden sich die vernünftigen Politiker dieser Welt zusammen, um eine friedliche Lösung des Konflikts zu finden“, sagt er. Glauben tut er nicht daran: „Der Krieg ist längst eine ausgemachte Sache.“

Nach Deutschland mitnehmen wollte Stange gestern dennoch nur das Nötigste. Seine Bücher, Pläne und die Fußballschuhe wird er in einem Keller in Bagdad lagern. Und da er penibel ist, hat er seinem irakischen Co-Trainer für den nächsten Monat bis ins kleinste Detail einen Trainingsplan zusammengestellt. Denn, so Stange: „Fußball wird auch in schwierigsten Zeiten weiter gespielt.“ Selbst in Afghanistan habe man bereits unmittelbar nach dem Krieg wieder Punktspiele ausgerichtet. Fußball, daran glaubt Stange ganz fest, sei ein Botschafter des Friedens. Und das gelte auch für den Irak, schließlich sei es besser, wenn seine Jungs mit Bällen anstatt mit Kanonen trainierten.

Bis jetzt läuft alles noch ganz normal, seine Jungs trainieren tatsächlich noch mit Bällen. Aber sie sind alle Reservesoldaten im besten Alter und werden daher wohl bald eingezogen werden. „Vielleicht wird die Hälfte von ihnen auf dem Friedhof liegen, wenn ich zurückkomme“, plagt den ehemaligen Trainer der DDR-Olympiaauswahl eine düstere Vorahnung.

In den deutschen Medien war Stange seit seinem Amtsantritt in Bagdad letzten Oktober immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, sich vor den Karren Saddam Husseins spannen zu lassen. Aber er sei in all den Monaten von irakischer Seite nie aufgefordert worden, sich politisch zu äußern. Ohnehin, sagt Stange, sei er für die strikte Trennung von Politik und Sport. „Erklären sie einmal einem Fan in Schalke oder Dortmund, dass es Schröders und nicht Völlers Verdienst ist, dass die Deutschen Vizeweltmeister sind“, sagt er.

Schon zwei Mal hat die Politik Stanges Fußballträumen ein Ende bereitet. Die DDR-Olympiaauswahl, die sich 1984 für die Spiele in Los Angeles qualifiziert hatte, musste zu Hause bleiben, als der oberste Sowjet, Leonid Breschnew, und der Staatsratsvorsitzende Honecker beschlossen hatten, die Spiele in den USA zu boykottieren. „Zwei Jahre hartes Training waren mit einem Federstrich dahin“, erinnert sich Stange. Jetzt kann seine irakische Mannschaft wahrscheinlich die Olympiaqualifikation gegen Vietnam vergessen.

„Dazwischen liegen zwanzig Jahre, in denen die Welt nichts dazugelernt hat“, stellt Stange fest. Dann steht er auf und verabschiedet sich freundlich. Er muss los, um seine Mannschaft noch ein letztes Mal beim Mittagessen zu sehen – und um sich zu verabschieden. Er hat für jeden Spieler einen Brief vorbereitet, in dem er dessen Fortschritte anpreist. Am Ende des Briefes heißt es: „Ich bete zu meinem Gott, dass er euch und eure Familien schützt.“