Neues Wahlrecht durchgepaukt

Unter Umgehung des Parlaments setzt Frankreichs Premierminister Raffarineine Reform durch, die kleineren Parteien bei Regionalwahlen den Garaus macht

PARIS taz ■ Eine Debatte in der Nationalversammlung findet nicht statt. Eine Abstimmung auch nicht. Das Gesetz über eine „Reform“ des Wahlrechts tritt so in Kraft. Obwohl außer Chiracs rechter Einheitspartei UMP sämtliche politischen Formationen dagegen sind. Und obwohl die „Reform“ die politische Landschaft Frankreichs schon bei den Regionalwahlen 2004 radikal verändern wird.

Sämtliche kleinen Parteien – von der rechtsliberalen UDF über die Kommunisten bis zu den Grünen – werden der „Reform“ zum Opfer fallen. Das Gesetz sieht vor, dass bei Regionalwahlen nur noch Parteien am zweiten Durchgang teilnehmen dürfen, die im ersten Durchgang mindestens 10 Prozent der Stimmen aller eingeschriebenen Wähler erhalten haben.

Angesichts der ständig zunehmenden Wahlenthaltung, die in die Nähe von 50 Prozent gerückt ist, bedeutet dies, dass bei künftigen Regionalwahlen schon im ersten Durchgang mindestens 20 Prozent der Stimmen nötig sein werden, um im zweiten Durchgang noch dabei zu sein. Nach Lage der Dinge können derzeit nur die sozialdemokratische PS und Chiracs rechte UMP hoffen, so viele Stimmen hinter sich zu bringen. Frankreich würde zu einem Zweiparteiensystem.

Der Durchmarsch im Parlament war eine Entscheidung von Premierminister Jean-Pierre Raffarin. Nach Absprache mit Staatspräsident Chirac hat er am Mittwochabend im Parlament Artikel 49-3 der Verfassung geltend gemacht. Raffarin begründete den Abbruch der Debatte mit der Obstruktion der „Reform“-Gegner. Von der UDF über PS bis zur KPF lehnen alle anderen Fraktionen im Parlament das Gesetz als „Einschränkung der politischen Vielfalt“, als „Gefahr für die parlamentarische Demokratie“ und als „politischen Staatsstreich“ ab. Um die „Reform“ zu verhindern, hatte die Opposition 12.000 Änderungsanträge eingereicht. Mit Raffarins autoritärem Eingreifen ist die Debatte beendet. Nicht mal die Kritik einiger UMP-Abgeordneter wird noch zur Sprache kommen. Der Opposition blieb nichts anderes übrig, als einen Misstrauensantrag einzureichen, über den morgen abgestimmt wird. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse – 365 Abgeordnete der UMP gegen 141 der PS, 22 der KP und 3 der Grünen – hat er keine Chancen.

Die verflossene rot-rosa-grüne Regierung hat Artikel 49-3 nie benutzt. Zuletzt war er 1995 von Expremier Alain Juppé angewandt worden, um eine Privatisierung im Parlament im Schnellverfahren durchzupauken. Juppé, der heute Chef der rechten Einheitspartei UMP ist und keinen Hehl daraus macht, dass er Chiracs Nachfolger werden möchte, ist auch einer der Autoren der jetzigen „Reform“. Sie bleibt der alten gaullistischen Tradition treu, dass der Staat stark sein muss. DOROTHEA HAHN