Überraschung: Schröder stark

Der Kanzler hat wieder bewiesen, dass er in der Defensive besondere Kräfte entwickeln kann: Er hielt gestern eine der besten Reden seiner Amtszeit

aus Berlin BETTINA GAUS

Manchmal sind parlamentarische Auseinandersetzungen für Überraschungen gut. Eine vernichtende Presse für den Bundeskanzler, offenkundige Meinungsverschiedenheiten und desaströse Kommunikationsdefizite innerhalb der rot-grünen Koalition: Was war unter diesen Umständen von der Bundestagsdebatte über die Irakpolitik zu erwarten gewesen? Ein defensiver, unsicherer Kanzler, der sich darum bemüht, die Fehler der letzten Tage mit seinem bekannt spöttischen Lächeln herunterzuspielen. Ein düpierter Außenminister, der alle Probleme mit galligen Angriffen auf die politischen Gegner zu überspielen sucht. Und eine souveräne Opposition, die die Gunst der Stunde zu nutzen versteht. Wie man sich täuschen kann. Es kam ganz anders.

Prinzipien für die Zukunft

Gerhard Schröder hat ein weiteres Mal bewiesen, dass er mit dem Rücken zur Wand besondere Stärken entwickeln kann: Er hielt gestern eine der besten Reden seiner Amtszeit. Endlich musste man sich einmal nicht des Verdachts erwehren, dass der Kanzler ohne innere Überzeugung eine populistische Haltung einnimmt. Im Gegenteil: Schlüssig und konsequent skizzierte er die Grundlinien seiner Politik. Gut möglich, dass Schröder überhaupt erst durch den scharfen Gegenwind zu einer so klar strukturierten Position gefunden hat. Gestern aber hat er Prinzipien definiert, an denen er sich in Zukunft wird messen lassen müssen.

„Die vornehmste Aufgabe internationaler Politik ist es, Kriege zu verhindern,“ sagte der Kanzler. Nichts dürfe dazu führen, „dass wir uns gleichsam schleichend daran gewöhnen, Krieg als ein Mittel der Politik zu begreifen“. Entscheidungen über Militäreinsätze müssten auf Grundlage der Prinzipien der Freiheit, des Friedens und des Rechts getroffen werden: „Es muss aber auch deutlich werden, dass wir diese Entscheidungen souverän – und das heißt: in unserer Verantwortung – zu treffen haben.“ Die Wertegemeinschaft mit den USA könne „auch bei gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten in der Substanz nicht berührt werden“.

„Entwaffnung ohne Krieg“

Schröder warnte vor der Gefahr, dass ein Militäreinsatz gegen den Irak die internationale Allianz gegen den Terrorismus bedrohen könne. Nach wie vor erfordere der Kampf gegen den Terrorismus höchste Aufmerksamkeit: „Keinesfalls haben wir ihn bereits gewonnen.“ Aus Sicht des Bundeskanzlers besteht die Alternative im Zusammenhang mit der Irakkrise nicht in einer Entscheidung zwischen Krieg und Tatenlosigkeit. Vielmehr plädierte er nachdrücklich dafür, die Waffeninspektionen fortzusetzen und auszuweiten: „Wir können den Irak entwaffnen ohne Krieg. Diese Chance zu nutzen verstehe ich als Inhalt meiner Verantwortung.“ Ganz am Schluss seiner Rede begab sich Gerhard Schröder dann auf heikles Terrain: Es gebe eine „Koalition der Willigen“ für den Krieg – und die CDU/CSU gehöre dazu.

Ein Aufschrei bei der Opposition. „Ein solcher Bundeskanzler hat den Tiefpunkt der Kultur in diesem Hause erreicht“, zürnte der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. „Die Menschen in diesem Lande wollen alle keinen Krieg, und die, die hier in diesem Saale sitzen, wollen auch keinen Krieg“, sagte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. Was sie statt dessen will, sagte sie nicht.

Die politische Kleiderordnung führt gelegentlich dazu, dass Führungspersonal in Schuhe schlüpft, die mehr als nur eine Nummer zu groß geraten sind. So geschehen gestern bei der Opposition. Merkel und Westerwelle warfen dem Kanzler vor, die Irakkrise für innenpolitische Zwecke zu nutzen. Und dann erklärte die CDU-Chefin, dass Schröder ja schon beim Thema Kündigungsschutz keine Mehrheit in den eigenen Reihen habe. Der FDP-Vorsitzende forderte „zügige Neuwahlen“ und erwähnte die Ergebnisse der Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen. „Das sage ich mit großem Ernst“, betonte Angela Merkel einmal – und sie musste es in der Tat betonen, denn zu spüren war davon nichts.

„Als letztes Mittel dürfen militärische Maßnahmen gegen den Irak nicht ausgeschlossen werden“, sagte die CDU-Vorsitzende. Als letztes Mittel? Hört Angela Merkel keine Nachrichten? 150.000 Soldaten sind inzwischen in der Golfregion zusammengezogen worden. Wer nach Alternativen zum Krieg suchen will, kommt mit dem Stilmittel der Beliebigkeit nicht mehr aus.

Wenigstens eine Position

„Mir ist heute die Haltung der Unionsfraktion nicht klarer geworden“, sagte Joschka Fischer nach Merkels Rede. Da hatte der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos noch nicht gesprochen. Ausgerechnet er, der sonst in Bundestagsdebatten gern den Buffo gibt, hatte gestern den Mut, der seiner Fraktionsvorsitzenden fehlte: Er legte sich fest. Er befürchte, dass das Regime in Bagdad keine Alternative zu einem Krieg zulasse, sagte Glos. „Mit den Mitteln der Friedensbewegung werden wir den Diktator in Bagdad nicht zum Einlenken bewegen.“ Es müsse ganz klar sein, „dass wir an der Seite unserer amerikanischen Freunde stehen“. Diese Position muss man nicht teilen. Aber es ist wenigstens eine Position.

Wie unsicher viele Abgeordnete der Union sind, zeigte eine kleine Szene während der Rede von Joschka Fischer. Die bloße Erwähnung seiner Gespräche beim Heiligen Stuhl genügte für empörte Zwischenrufe seitens CDU und CSU. Fischer stand lange schweigend da, die flache Hand zur Opposition hin ausgestreckt. Schließlich sagte er: „Das spricht für sich.“

Der Außenminister forderte ebenso wie Schröder eine „Schärfung der Inspektionen“ und betonte die Notwendigkeit, ein „langfristiges Kontroll-und Verifikationsregime“ zu entwickeln. Anders als in der Zeit des Kalten Krieges gebe es keine „Stabilität des Schreckens“, deshalb werde ein wirksames Kontrollsystem besonders dringend gebraucht. „Wir können doch nicht Kriege zur Abrüstung von Massenvernichtungswaffen allen Ernstes zur Strategie erheben.“ Schulterschluss mit dem Kanzler also – bei gleichzeitiger hauchdünner Distanz: Wer für militärische Mittel plädiere, müsse „schon sehr überzeugende Gründe haben. Alle Mittel für den Frieden müssen ausgereizt sein.“ Diese Möglichkeit hatte Schröder nicht erwähnt.

„Lassen Sie diese Mätzchen“

Nicht alle Redner der Regierungsfraktionen hatten gestern Sternstunden. Verteidigungsminister Peter Struck versuchte umständlich zu begründen, warum die Bundesrepublik über den Umweg der Niederlande an die Türkei das Patriot-Raketensystem liefern wird. Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble wies ihn knapp und präzise zurecht: „Machen Sie sich doch nicht lächerlich! Lassen Sie diese Mätzchen.“ Der einzige Grund für das „Affentheater“ sei darin zu suchen, dass der Kanzler eine Abstimmung über diese Frage im Bundestag fürchte.