Härte durch die Hintertür

Gegen den Plan von Justizsenator Kusch (CDU), das Hamburger Bezirksjugendgericht aufzulösen und auf so genannte Stadtteilgerichte zu verteilen, regt sich immer mehr Widerstand

von KAI VON APPEN

Hamburgs Innensenator Ronald Schill hatte sich die Parole im Wahlkampf auf seine Fahnen geschrieben: „Zerschlagung des Kartells strafunwilliger Verständnispädagogen“. Damit meinte er nicht einfühlsame LehrerInnen, die reumütigen SchülerInnen die Strafarbeiten erlassen, sondern seine RichterkollegInnen vom Bezirksjugendgericht Hamburg. „Zu lasch, zu wenig Härte“, bemängelte Schill. Inzwischen setzt CDU-Justizsenator Roger Kusch den Auftrag des Koalitionspartners mit Vehemenz um und richtet Stadtteil-Jugendgerichte ein.

Gegen den Widerstand fast aller Beteiligten. „Es gibt eigentlich niemanden, der diesen Schritt für sinnvoll hält“, konstatiert der Vorsitzende des Hamburger Landesverbandes der „Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen“ (DVJJ), Joachim Katz. Und der Chef des Arbeitskreises Sozialdemokratischer JuristInnen und Verwaltungsrichter Friedrich-Joachim Mehmel sagt: „Herr Kusch, drehen Sie das Rad zurück, bevor es zu spät ist.“

Jugendstrafrecht erfordert ein besonderes Maß an fachlicher Qualifikation, Erfahrung und Einfühlungsvermögen. 1960 hatte daher der Hamburger Senat die Vorgaben des „Jugendgerichtsgesetzes“ (JGG) umgesetzt und das Bezirksjugendgericht eingerichtet: Eine Crew von RichterInnen, die zusammen mit den JugendstaatsanwältInnen und der Jugendgerichtshilfe Strafverfahren Jugendlicher und Heranwachsender bearbeitet. Wie in Berlin oder München bilden auch in Hamburg die 17 RichterInnen des Bezirksjugendgerichts beim Amtsgericht Hamburg-Mitte ein eigenes zentrales Dezernat. „Wir arbeiten im Team, auch wenn wir uns in unserer Rechtsprechung natürlich unterscheiden“, sagt Jugendrichter Katz. „Da kein Jurist im Nebenfach Sozialpädagogik studiert hat, organisieren wir unsere Fortbildung selbst, um den Ansprüchen des Gesetzes gerecht zu werden.“

Milieukenntnisse sind längst vorhanden

Kusch versucht nun die Zerschlagung mit „mangelnden Orts- und Milieukenntnissen“ zu begründen. Deshalb soll das zentrale Jugendgericht aufgelöst und auf die verschiedenen Amtsgerichte – die so genannten „Stadtteilgerichte“ – verteilt werden. In den neu gegründeten Amtsgerichten Barmbek und St. Georg sind bereits Jugendabteilungen eingerichtet worden. Mit RichterInnen, die zum Teil auf 20 Prozent-Stellen Jugendstrafsachen bearbeiten, aber überwiegend im Erwachsenenstrafrecht tätig sind.

„Die Milieukenntnisse sind längst vorhanden“, kontert Katz. Denn jedeR RichterIn bearbeitet eine bestimmte Region Hamburgs – den Stadtteil, wo der Jugendliche wohnt. „Das ist seit 1980 so“, sagt Katz weiter, „manche Kids wohnen in Rahlstedt, begehen ihre Straftat aber in Wilhelmsburg.“ Daher gebe es am Wohnort enge fachliche Kontakte zur örtlichen Polizei, der Jugendgerichtshilfe und zu Jugendeinrichtungen. „Im Jugendstrafrecht arbeiten wir mit der Jugendstaatsanwaltschaft enger zusammen, als es im Erwachsenenstrafrecht der Fall ist“, erläutert Katz. Und: Im Jugendstrafrecht ist der Richter im Gegensatz zum allgemeinen Strafrecht – wo es eigene Ermittlungsrichter gibt – bereits in die Ermittlungen involviert. „Wir sind von Anfang an drin im Verfahren“, sagt Katz. „Wenn der Jugendstaatsanwalt bei Drogendelikten eine Telefonüberwachung braucht, kommt er eben vorbei und kriegt sie. Künftig muss erstmal die Akte nach Blankenese oder Bergedorf geschafft werden.“ Und bei Haftbefehlen muss der Jugendliche von der Polizei ebenfalls dem Richter in der Peripherie vorgeführt werden.

Kaschierte Verschärfung des Jugendstrafrechts

In der Tat bringt die Dezentralisierung nur Probleme. „Ein extrem personal- und kostenintensiver Schritt in die falsche Richtung“, klagt Verwaltungsrichter Mehmel. Selbst der Leitende Oberstaatsanwalt Martin Köhnke intervenierte kürzlich auf einer Juristentagung gegen den Kusch-Kurs, da seine Jugendstaatsanwälte künftig die Hauptzeit in öffentlichen Verkehrsmitteln verbringen müssten. Für viele mit Jugendrecht befasste JuristInnen ist die Dezentralisierung daher nur ein Plan, die Verschärfung des Jugendstrafrechts durch die Hintertür durchzusetzen. Katz: „Die Zerschlagung des Bezirksjugendgerichts macht nur einen Sinn, wenn eine Veränderung der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis angestrebt wird.“