Das Recht zum Handeln

Eine Nebenklage verschafft Betroffenen die Möglichkeit, selbst ins Prozessgeschehen einzugreifen. Ohne dieses Instrument sind selbst die direkten Opfer eines Verbrechens nur ZeugInnen

von ELKE SPANNER

Der Auftritt von Angehörigen der Terroropfer im Hamburger Prozess um die Anschläge des 11. September 2001 hat im Gerichtssaal nicht nur Mitgefühl ausgelöst. Er hat auch die Frage aufgeworfen, inwieweit ein juristisches Verfahren durch die Gefühle Betroffener beeinflusst werden darf. Denn die Angehörigen haben ihr Erscheinen damit begründet, dem Gericht vor der Entscheidung über das Urteil noch „die menschliche Seite“ der Attentate vor Augen führen zu wollen.

Das ist ein legitimes Bedürfnis – und führte zu einer amerikanischen Inszenierung, wie sie vor deutschen Gerichten bisher selten zu erleben war. Der Vorsitzende Richter Albrecht Mentz sah sich angesichts der Vorverurteilung des Angeklagten durch einige der NebenklägerInnen schließlich dazu veranlasst, diese ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung über Schuld oder Unschuld von Mounir El Motassadeq noch nicht gefallen ist.

Die Nebenklage verfolgt grundsätzlich das Ziel, Menschen, die von einer Straftat betroffen sind, im Prozess eigene Rechte einzuräumen. Ohne dieses Instrument sind selbst die direkten Opfer eines Verbrechens nur ZeugInnen. Sie sind nicht selber Prozessbeteiligte, sondern werden zu einem bestimmten Termin zur Aussage vorgeladen. Wie alle ZeugInnen dürfen sie zuvor auch nicht von der Zuschauerbank aus den Prozess verfolgen, weil ihre Aussage dadurch beeinflusst werden könnte. Die Opfer sind nicht mehr als ein Beweismittel – und genau so fühlen sie sich oftmals auch.

Bei einer Nebenklage hingegen haben sie die Möglichkeit, selbst am Prozess teilzunehmen. „Vor allem in Vergewaltigungsprozessen ist es für die Frauen oft wichtig, in das Geschehen eingreifen zu können“, erklärt Rechtsanwältin Waltraut Braker. „Sie waren vorher Objekt der Tat und sind jetzt auch noch Objekt des Gerichtes. Indem sie selber handeln können, holen sie sich ein Stück ihrer Eigenmacht wieder.“ Zudem gebe es durchaus ein menschliches Bedürfnis nach „Rache“. Das eigenständige Handeln im Prozess sei deshalb ein wichtiges Korrektiv, um zu verhindern, dass ein Opfer zu wenig Genugtuung erlangt und diese dann außerhalb des Gerichtssaales sucht.

Als NebenklägerInnen können die Betroffenen während des gesamten Prozesses anwesend sein. Und auch wer das Zusammentreffen mit dem Täter scheut, kann über AnwältInnen Einfluss nehmen. Die können Anträge stellen und ein Plädoyer halten, wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist.

Da Betroffene naturgemäß ein gesteigertes Interesse an der Bestrafung eines Täters haben, treten sie dem Prozess regulär auf der Seite der Ankläger, der Staatsanwaltschaft bei – wie auch im Fall von Mounir El Motassadeq. Für Verwirrung hat deshalb 1996 ein Prozess gesorgt, in dem Opfer eines schweren Brandanschlages ihre Prozessrechte ganz anders geltend machen wollten: Sie hatten Nebenklage beantragt, um dem Angeklagten zu einem Freispruch zu verhelfen.

Als der Libanese Safwan Eid vor dem Lübecker Landgericht beschuldigt war, die Flüchtlingsunterkunft in der Hafenstraße angesteckt und dadurch zehn Menschen getötet zu haben, waren viele seiner früheren MitbewohnerInnen von seiner Unschuld überzeugt und unterstützten ihn vor Gericht. Im ersten Prozess wurde die Nebenklage zugelassen – was zu Problemen führte, als ein Rechtsanwalt plötzlich gegen den Willen seines Mandanten Partei gegen Safwan Eid ergriff. Schließlich plädierten die NebenklägerInnen auf Freispruch für Safwan Eid.

Als der Bundesgerichtshof dann das Urteil aufhob und eine neue Verhandlung forderte, mussten die Opfer aber vor der Tür bleiben. Im zweiten Prozess, diesmal vor dem Kieler Landgericht, wurde ihre Zulassung als Prozessbeteiligte abgelehnt. Die Unterstützung des Angeklagten, hieß es zur Begründung, „widerspricht dem Sinn der Nebenklage“. Im Ergebnis waren die ehemaligen MitbewohnerInnen trotzdem mit dem Prozess zufrieden: Safwan Eid wurde freigesprochen.