Ein Unwort, spurlos verschwunden

Immer mehr Großstädte kassieren Autofahrer ab, die unbedingt ins Zentrum wollen. Aber in der selbst ernannten Metropole Hamburg ist die City-Maut gegen den Verkehrsinfarkt kein Thema. Senat möchte lieber, dass Autofahrer weniger Rot sehen

„Die autogerechte Stadt ist gescheitert“: Konsequenzen gleichwohl blieben rar.

von SVEN-MICHAEL VEIT

Es gibt Dinge, über die wird einfach nicht gesprochen. Zumindest nicht in Hamburg. Die britische Hauptstadt London beginnt jetzt damit, einen durchaus schmerzhaften Wegezoll von AutofahrerInnen zu verlangen, die unbedingt mit dem eigenen PKW in die chronisch verstopfte City wollen (siehe Kasten). Auch in Hamburg, das den permanenten Anspruch proklamiert, ebenfalls eine Welt-Metropole zu sein, klagen zuvörderst die einschlägigen Boulevard-Blätter fast täglich über vermeintlich verkehrsbehindernde Staus und Poller. Mit einer City-Maut jedoch steuernd einzugreifen und zugleich zusätzliche Investitionen für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu erwirtschaften, kommt niemandem in den Sinn.

„Entschieden“ lehnt erwartungsgemäß der ADAC jede zusätzliche Gebühr für Autofahrer ab, auch seine natürlichen Gegenspieler nehmen das Wort nicht mehr in den Mund. In einem im Dezember 2001 veröffentlichten Forderungskatalog des Hamburger „Aktionsbündnis für eine zukunftsfähige Verkehrspolitik“, zu dem alle einschlägigen Umweltverbände sich zusammengeschlossen haben, taucht die Idee der Verkehrssteuerung durch ordnungspolitische Mittel nur ein Mal auf: Robin Wood spricht sich für „empfindlich hohe Parkgebühren“ und eine „intelligente Parkraumbewirtschaftung“ aus (siehe Text unten).

„Wir wollen keinen Eintritt für die Innenstadt“, bestätigt denn auch jetzt SPD-Verkehrsexpertin Barbara Duden, fast gleichlautend antwortet ihr CDU-Pendant Bernd Reinert. Auch ihre Begründungen sind nahezu wortgleich: Der „Einkaufsstandort City“ dürfe „keine Nachteile“ erleiden. Und auch GAL-Verkehrspolitiker Jörg Lühmann bevorzugt „eine andere Schwerpunktsetzung“. Die Anti-Poller-Behörde von Schill-Verkehrssenator Mario Mettbach weigert sich, zum Thema überhaupt eine Stellungnahme abzugeben.

Stattdessen fordert Mettbach eine weitere, eine fünfte Röhre für den Elbtunnel – und begründet das ironischerweise eben mit einer Maut. Denn der Weiterbau der Autobahn A20 von Lübeck nördlich um Hamburg herum nach Niedersachsen sieht bei Glückstadt eine privat finanzierte Elbquerung vor. Da diese mithin gebührenpflichtig ist, so Mettbach, „werden die zusätzlichen Verkehre auf unseren Elbtunnel zurollen“. Dass somit Hamburgs Verkehrssenator höchstselbst den Nutzen der A20 in Frage stellt, wird die Initiativen im Umland freuen.

Kein Wunder also, dass jener zum Unwort mutierte Begriff City-Maut in der Hamburgischen Bürgerschaft zuletzt am 10. Dezember 1997 fiel – in einem Nebensatz. Mitte der 90er Jahre noch war sie allenthalben diskutiert worden. Die EU-Kommission hatte sich dafür ausgesprochen; in Berlin forderten 1995 die oppositionellen Parteien SPD, Grüne und PDS ein Road-Pricing-System für die Innenstadt; Sachsen-Anhalts Verkehrsminister Jürgen Heyer (CDU) stellte noch 1999 auf einem Symposium der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung fest: „Die autogerechte Stadt ist gescheitert.“ Konsequenzen gleichwohl blieben rar.

Unverdrossen fordern in Hamburg ADAC und Handelskammer breitere Straßen, den vierspurigen Ausbau der Ringe 2 und 3 sowie weitere Asphaltpisten durch Hamburg und um die Stadt herum. Die SPD verhält sich in diesen Punkten defensiver und propagiert stattdessen gerne einen besseren ÖPNV. Der grüne Lühmann wäre „über Radstreifen auf der Fahrbahn und nicht zugeparkte Radwege schon froh“ und hält unverdrossen an der Stadtbahn fest, welche der Schwarz-Schill-Senat „für mausetot“ erklärt hat.

Christdemokrat Reinert setzt hingegen auf „verbesserten Verkehrsfluss“, zuvörderst durch Leitsysteme und „intelligente Ampelschaltungen“. Was darunter zu verstehen ist, erläuterte Mettbach am 17. Dezember vorigen Jahres vor dem Bau- und Verkehrsausschuss der Bürgerschaft. Passanten müssten künftig eventuell „in Kauf nehmen, eine Ampelphase auf der Mittelinsel warten zu müssen, und nicht die gesamte Fahrbahn noch überqueren“ zu können. Dadurch könnte erreicht werden, dass AutofahrerInnen weniger Rot sähen.

Am Mittwoch debattiert die Bürgerschaft über diese wegweisende Idee mit dem Titel „Progressive Führung des Fußgängerverkehrs“.