Vogelfreie stehen nicht

Es wird viel getrunken und viel gekotzt: Mit seinem Film „Rezervni Deli“ (Ersatzteile) im Wettbewerb wollte der slowenische Regisseur Damjan Kozole herausfinden, was es mit Schleppern auf sich hat

von CRISTINA NORD

Wer auf der Flucht ist, für den gelten andere Preise. 50 Euro kostet eine Pizza, 1.000 Euro eine Fahrt von vielleicht 30 Kilometern. Eine Frau ohne Bargeld bekommt 50 Euro für Sex. Oder eben eine Pizza. Wer sich beschwert, dem wird empfohlen, zur Polizei zu gehen. Das Geld wird oft gezählt und von einer Hand in die andere geschoben. Oft auch wird darüber gesprochen, was ein Mensch wert ist. „Die meisten dieser Frauen enden als Huren“, sagt der eine Schlepper. Und die anderen? Die enden „als Ersatzteile“. 15.000 Euro für eine Niere, auch Herz und Leber sind gefragt.

Damjan Kozoles „Ersatzteile“ ist der dritte Film im Wettbewerb, der sich den Sujets Flucht und Grenze widmet, der sich mit den Menschen befasst, die an der Grenze leben und ein Auskommen suchen, und mit denen, die nach Europa wollen und die nötigen Papiere dazu nicht haben. Was auf der anderen Seite, in Italien, geschieht, darüber kursieren Schauermärchen: Die Flüchtlinge würden „betäubt und ausgeschlachtet“. „Dagegen“, sagt der slowenische Schlepper, „sind wir Touristenführer.“ Später eine Szene, in der Flüchtlinge in einen Tanklaster steigen, durch die Luke abtauchen in einen Raum, den kein Mensch je von innen sehen und riechen sollte. „Und du glaubst, die überleben bis London?“, fragt der eine Schlepper. „Die meisten von ihnen“, antwortet der andere, nachdem er einem Passagier die Streichhölzer abgenommen hat. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben hat einmal geschrieben: „In dem Moment, da die Rechte nicht länger Bürgerrechte sind, wird der Mensch vogelfrei, er wird zum Homo Sacer, wie ihn das antike römische Recht kannte: todgeweiht.“

Wie Hans Christian Schmids „Lichter“ bleibt „Ersatzteile“ an einem Ort, an der Wohlstandsscheide zwischen Italien und Slowenien. Und wie Schmid optiert auch Kozole für eine Erzählhaltung, die keiner Figur zu nah kommt. Er folgt nicht der langen Reise der Flüchtlinge, wie Winterbottom das mit „In this World“ tut. Vor allen Dingen will er wissen, was das für welche sind, die Schlepper. Unangenehme Zeitgenossen, denkt man zunächst. Aber dann hat der eine Krebs und kommt nicht darüber hinweg, dass er einmal ein erfolgreicher Rennfahrer war und heute beim Onanieren nicht weiß, ob er das Foto seiner verstorbenen Frau ansehen will oder den Pornokanal im Fernsehen. Der andere ist ein naives Bürschchen, das sich die Härte erst im Lauf des Filmes antrainieren muss, eine klassische Initiationsgeschichte, deren Ziel eine schmuddelige, harte Männlichkeit ist. Es wird viel getrunken, bisweilen auch gekotzt, gefurzt und geflucht, damit die Realness stimmt. Manchmal schaut die Kamera auf veraltete Industrieanlagen. Anders als man denken könnte, stehen sie nicht still. Aus den Schornsteinen steigt Rauch. Hier wird gearbeitet, die Stagnation ist anderswo.

Gesichtslos bleiben dabei die Flüchtlinge. Darin gleicht „Ersatzteile“ dem halbdokumentarischen „In this World“ Winterbottoms. Eine erste Fuhre, eine zweite Fuhre, eine dritte Fuhre. Eine dreiköpfige Familie erstickt im Kofferraum, wo sonst „ohne Probleme sieben bis acht Chinesen“ Platz hätten, sagt ein Schlepper. Das Zählen nimmt kein Ende. Eine Frau trägt ein totes Baby mit sich. Sie wird es auf der italienischen Seite verscharren, über der Szene weitet sich der Blick, man sieht die Lichter von Triest und die Bucht. Dazu dröhnt der Synthesizer. „Ersatzteile“ ist – anders als „Lichter“ – ein unentschiedener Film. Er weiß nicht, ob er die Schlepper mögen will oder nicht. Er weiß nicht, was er mit den vielen Flüchtlingen machen soll, und gibt ihnen daher nichts als vorhersehbare Optionen: Tod, Prostitution, Tränen, Krankheit. Und vor allem weiß Kozole nicht, ob er seinen spröden visuellen Stil durchhalten oder ihn an die Eindeutigkeit des Synthesizers verspielen will.