Tödliche Liebesmechanik

Wirklichkeitsverlusttheater, das mit seinen vielen kühlen Oberflächen schön anzusehen ist: Fassbinders „Tropfen auf heiße Steine“ in der Inszenierung des Dresdener Regieduos norton.commander.productions im Podewil

Ein Körper wird auf der Sonnenbank zu Markte getragen: Die Kamera fährt ganz langsam vom Kopf bis zu den Füßen des Mannes, taxiert jeden Zentimeter Haut, die bläulich unter den Röhren strahlt, als habe man es hier mit ganz besonderem Fleisch und Blut zu tun. Mit diesem Videofilm beginnt die Inszenierung „Tropfen auf heiße Steine“ nach jenem frühen Stück Rainer Werner Fassbinders, mit dem die Theater lange nicht umzugehen wussten. Aber dieser Anfang ist viel versprechend, und schon möchte man das Dresdener Regie-Duo der norton.commander.productions dafür loben, wie das Schicksal der libidinösen freischwebenden Energie hier in Bildern gefasst wird.

Der Mann auf der Sonnenbank ist Franz. Oder besser Mario, weil die Schauspieler ihre echten Vornamen behalten. Haymon hat Mario verführt. Jetzt ist ihre Geschichte das, was in den Siebzigerjahren als Beziehungskiste bezeichnet wurde. Haymon bringt das Geld ins Haus, Mario macht den Haushalt, und was sonst noch an Abweichungen zwischen ihnen steht, dreht die Schraube aus sexuellen Machtverhältnissen und kleinlichen Vorwürfen weiter an. Dass der Verführer Haymon seine Exfreundin Eva rausgeschmissen hat, weil sie sich nicht an ihn anpassen konnte, sollte Franz zu denken geben. Doch die Liebe hat ihn längst wie ein bösartiger Erreger befallen und das Geschlecht ist hier keine Frage der Identität, der Geschlechterkampf kein Privileg unterschiedlicher Chromosomensätze.

Die erschreckend äußerliche Normalität dieses Paares ist aus dem profanen Wohnzimmeralltag in das Lounge-Ambiente einer Art Raumstation verlegt. In dieser vorgeprägten Stimmung bleiben auch die Figuren klinisch rein. Auf den Lamellenvorhang, der sich immer wieder vor der Bühne schließt, werden in Videoausschnitten die Szenen, die außerhalb dieser Wohnung spielen, projiziert: vor allem Handelsvertreter Haymon bei der Arbeit, also im Auto auf der Fahrt zu Kunden. Auch das erste Kennenlernen des Paars spielt in seinem Dienstwagen, als kreuzten sich hier Fassbinder und die Arbeitsbedingungen der New Economy.

Bewusst sind dies die Szenen, wo überhaupt ein wenig Intimität zwischen den Figuren zu spüren ist. In den Szenen auf der Bühne dagegen die reine, Distanz schaffende Kunstwelt: Videoeinspielungen, über Mikrofone verstärkte Stimmen, und wenn die Musiker Sarah Marrs und Rob Taylor zwischen den Akten ihren Elektropop trällern, werden im Hintergrund grafische Matrixmuster an die Wand geworfen. Die Idee, banale Alltagswirklichkeiten mit einem virtuellen Mediendesign zu konfrontieren, um die Frage zu beantworten, was an den Personen wirklich ist, rückt hier in den Vordergrund. Eine befriedigende Antwort wird nicht gefunden, und die eigenwillige Spannung, die diese Versuchsanordnung anfangs entwickelt, verflüchtigt sich in ästhetischer Esoterik.

An dem futuristischen Siebzigerjahre-Tisch auf der Bühne sitzen die Schauspieler, rauchen hastig, versuchen durchaus in Gesten und Tonfall Gefühle zu zeigen, reden freundlich miteinander, aber es ist eine Freundlichkeit, die etwas zutiefst Mechanisches hat. Wenn auf der Bühne die Stimmung schwanken soll, muss schon das Licht von warmem Orange bis Neonhell wechseln. Dazu treiben die beiden anämischen Sänger, die entweder in sterilem Weiß oder ganz in Schwarz gekleidet sind, die Mechanik mit Hilfe von elektronischen Beats voran. Und so wie der gefühlige Inhalt der Liedtexte gegen die Elektrorhythmen nicht mehr ankommt, können auch die beklemmenden Sätze der Schauspieler, die bei Fassbinder so unaufhaltsam in die tödliche Liebesmechanik führen, nicht mehr die kühlen Oberflächen überwinden. Ein Aufbäumen ist theoretisch möglich, aber praktisch ganz unmöglich geworden. Das ist ganz Fassbinder, der Rest ist sich selbst verlierendes, wenn auch hübsch anzusehendes Wirklichkeitsverlusttheater. SIMONE KAEMPF

Am 15., 16. 2. und vom 18. bis 20. 2., 20 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68–70